Themenwoche der ARD zur Toleranz

Die ARD wirbt mit dem Kampagnenbild «Rollstuhlfahrer» für mehr Toleranz. Foto: BR/getty images/Maskat/ARD
Die ARD wirbt mit dem Kampagnenbild «Rollstuhlfahrer» für mehr Toleranz. Foto: BR/getty images/Maskat/ARD

Vermutlich hat die ARD gegenüber ihrer Werbekampagne mehr Toleranz erwartet. Bevor die Themenwoche unter dem Titel «Anders als du denkst» überhaupt losgegangen ist, musste der Sender Vorwürfe über sich ergehen lassen. Plakate mit Abbildungen eines Schwarzen, eines Rollstuhlfahrers, eines schwulen Paares und eines schreienden Kindes verstanden Kritiker als «intolerant». Vor allem wegen Slogans wie «Normal oder nicht normal?» und «Belastung oder Bereicherung?»

An diesem Samstag geht es nun um 10.45 Uhr im «Ersten» los - mit dem Beitrag «Grenzgänger - Wie tolerant bist Du?» über Vorurteile unter Jugendlichen. «Wir hoffen, dass sich die Diskussion jetzt auf die gesellschaftlich wichtigen Themen der Toleranzwoche konzentriert», sagt der Koordinator der Themenwoche, Hans-Martin Schmidt.

Nicht nur Publikationen und Foren der schwulen Community greifen das Projekt an. Auch der Paritätische Gesamtverband fand die Poster «sehr unglücklich und wenig reflektiert». Mit einigen Interessensverbänden und Vereinen, unter anderem der Heinrich-Böll-Stiftung, hat der Grünen-Bundestagspolitiker Volker Beck einen Offenen Brief an die Geschäftsführerin der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz verfasst. «Sie verlassen als öffentlich-rechtliche Medien allerdings Ihren gesetzlichen Auftrag, wenn Sie Teile unserer Gesellschaft in ihrer Existenz infrage stellen», heißt es da an die Adresse des Senders.

In sozialen Netzwerken gab es in vielen Beiträgen Vorwürfe oder Kalauer mit Fotomontagen, die die Poster aufspießten. Twitter-Userin Julia Probst schrieb etwa: «Die #ardthemenwoche ist ja ein Reinfall, wenn man sich mal so die Plakatsprache und die Aussage darauf anguckt.» Beistand bekam die ARD aber auch: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hält die Themenwoche nach Angaben seines Sprechers für «einen wichtigen Beitrag einer lebendigen Toleranzkultur in Deutschland».

Dem Koordinator der Themenwoche Schmidt tut es leid, «wenn Menschen sich persönlich betroffen fühlen durch diese Kampagne. Das ist natürlich nicht die Intention gewesen», sagte Schmidt am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Aber: Wenn man die Nutzerkommentare betrachte, seien die Meinungen «durchaus differenzierter».

Jens Vogelgesang, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Münster, erklärt das Problem der Kampagne so: Auf den Plakaten stehen nach seinen Worten Sätze, «die zwei Deutungen zulassen. Es gibt Leute, die so denken: Ein Schwuler ist nicht normal. Und das wird dann auf den Postern nicht eingeordnet», sagte Vogelgesang. Die gute Sache dahinter, die die ARD bezweckt habe, werde nicht deutlich.

Ein Höhepunkt der Themenwoche wird am Mittwoch (19.11.) das Drama «Das Ende der Geduld» (Das Erste, 20.15 Uhr) sein. Es geht um die Jugendrichterin Corinna Kleist (Martina Gedeck), inspiriert von der wahren Geschichte der Berliner Richterin Kirsten Heisig. Heisig hatte gegen alle Widerstände das Neuköllner Modell initiiert. Nach diesem Modell werden die Straftaten von Jugendlichen in wenigen Wochen geahndet - und nicht erst Monate später. Der Film fragt auch, was falsch gelaufen ist bei der Integration von jungen Einwanderern. Heisigs Suizid schlug im Jahr 2010 bundesweit hohe Wellen.

«Klar wirft das auch kontroverse Fragen auf, aber die fangen wir zum Beispiel mit der Sendung "Anne Will" im Anschluss und im Social TV auf», sagte Schmidt. «Wir wollen unsere Zuschauer nicht alleinlassen, sondern dort weiter diskutieren.» Auch andere Themen werden angefasst - etwa beim Drama «Bis zum Ende der Welt» mit Christiane Hörbiger, die als Lehrerin von einer Roma-Familie genervt ist (17.11., 20.15 Uhr.).

Zum Thema Toleranz veröffentlichte der Bayerische Rundfunk am Freitag noch eine Umfrage. Das Ergebnis: So gut wie alle Menschen in Deutschland halten sich für tolerant. Neun von zehn Erwachsenen (88 Prozent) stuften sich demnach selbst als tolerant bis sehr tolerant ein. Die Gesellschaft insgesamt halten aber nur 55 Prozent für tolerant bis sehr tolerant. Befragt wurden mehr als 1000 Menschen im Alter ab 14 Jahren. Die Antworten hätten auch mit der «sozialen Erwünschtheit zu tun», erklärte der Sozialpsychologe, Prof. Andreas Zick. «Wir versuchen bei anderen besonders positiv darzustehen.»

dpa