Millionen im Protest gegen Terror vereint

llein in Paris schätzen die Organisatoren bis zu 1,5 Millionen Teilnehmer. Foto: Ian Langsdon
llein in Paris schätzen die Organisatoren bis zu 1,5 Millionen Teilnehmer. Foto: Ian Langsdon

Mit einer beispiellosen Welle der Solidarität haben am Sonntag in Frankreich mehr als drei Millionen Menschen ein starkes Zeichen gegen den Terrorismus gesetzt.

Bei einer der größten Kundgebungen der Nachkriegszeit kamen allein in der Hauptstadt Paris nach Schätzung der Organisatoren bis zu 1,5 Millionen Menschen zusammen, um gemeinsam der jüngsten Opfer des islamistischen Terrors der vorigen Woche zu gedenken. Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt marschierten vorneweg.


Frankreichs Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel starteten am Nachmittag untergehakt zum großen Marsch im Zentrum der Hauptstadt. Spitzenpolitiker aus aller Welt versammelten sich in Paris unweit der von Menschen übersäten Place de la République.

Auch in anderen europäischen Hauptstädten bekundeten Zehntausende ihre Solidarität. In der belgischen Hauptstadt Brüssel demonstrierten rund 20 000 Menschen für Redefreiheit und gegen Hass, in Berlin waren es etwa 18 000. In der britischen Hauptstadt London wurden Wahrzeichen in blau-weiß-rot - den Farben der Tricolore, der Fahne Frankreichs - angestrahlt.

Mehrere islamistische Terroranschläge, Morde und Geiselnahmen in Frankreich hatten seit Mittwoch das Leben von 17 unschuldigen Menschen ausgelöscht. Allein der Überfall auf die Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» forderte zwölf Todesopfer. Gegen die Welle der Gewalt waren schon am Samstag in ganz Frankreich etwa 700 000 Menschen auf die Straße gegangen, wie Innenminister Bernard Cazeneuve sagte.

An der Spitze des Pariser Solidaritätsmarsches am Sonntag liefen Angehörige von Terroropfern, wie französische Medien berichteten. Auf Transparenten stand: «Je suis Charlie». An Hollandes rechter Seite ging Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keïta - am zweiten Jahrestag des Einsatzes französischer Truppen gegen den Terror in Mali. An der Kundgebung nahmen auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Palästinenserchef Mahmud Abbas, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi und EU-Ratspräsident Donald Tusk teil. Tausende Polizisten und Soldaten waren für die Sicherung des Solidaritätsmarsches mobilisiert.

Merkel würdigte den Solidaritätszug von Paris als Kundgebung gegen die «barbarischen Ereignisse». Die Kanzlerin attestierte Frankreich «Unterstützung nicht nur aus der europäischen Union, sondern aus allen Teilen der Welt». Nach ihren Worten zeigen die Menschen damit, dass sie sich «für die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stark machen».

Vor dem Marsch beriet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit EU-Kollegen sowie US-Justizminister Eric Holder über Konsequenzen im Kampf gegen den Terrorismus. Nach dem dramatischen Ende der Anti-Terror-Einsätze in Frankreich suchten die Ermittler auch am Sonntag noch mögliche Unterstützer der Gewalttäter. Nach dem Tod der Attentäter am Freitag galt dennoch weiterhin die höchste Alarmstufe. Intensiv gefahndet wurde nach der flüchtigen Lebensgefährtin eines der getöteten Terroristen. Die 26-Jährige soll Frankreich aber bereits einige Tage vor dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» verlassen haben.

Hollande empfing am Sonntag im Élysée-Palast die Spitzenvertreter der jüdischen Gemeinde des Landes. Der Präsident der Dachorganisation Crif, Roger Cukierman, sagte: «Wir sind in einer Kriegssituation.» Einer der Attentäter hatte am Freitag in einem koscheren Geschäft Geiseln genommen und vier Menschen erschossen. Die jüdischen Opfer sollen in Israel beigesetzt werden.

Die Brüder Chérif Kouachi (32) und Said Kouachi (34), die in der «Charlie-Hebdo»-Redaktion ein Blutbad mit zwölf Toten angerichtet hatten, riefen dabei «Allah ist groß» und «Wir haben den Propheten gerächt». Sie behaupteten, zur Terror-Organisation Al-Kaida zu gehören. Der jüngere der beiden hatte sich nach Erkenntnissen der Ermittler 2011 im Jemen aufgehalten.

Auch die Miliz Islamischer Staat (IS) drohte mit einer größeren Terrorkampagne und weiteren Angriffen in Europa und den USA. «Morgen werden es Großbritannien, die USA und andere sein», sagte der IS-Prediger Abu Saad al-Ansari in der nordirakischen Stadt Mossul. Einen Zusammenhang mit IS behauptete Amedy Coulibaly (32), der dritte der am Freitag getöteten Männer.

Die drei Attentäter hatten sich nach einem Bericht des französischen Fernsehsenders BFMTV bei ihren Taten eng abgestimmt. Von einem der getöteten Terroristen tauchte ein postum zusammengestelltes Video im Internet auf. Die Aufnahmen zeigten Coulibaly und seien über einen Twitter-Account mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verbreitet worden, teilte die Beobachtungsplattform Site am Sonntag mit. Sein Handeln begründet der spätere Attentäter in einer der Aufnahmen in französischer Sprache mit den Angriffen der westlichen Koalition auf die Gebiete des IS.

De Maizière rief die Bürger zu besonderer Wachsamkeit auf. «Wir haben Radikalisierungsprozesse in Deutschland, bei denen sich Personen äußerlich und innerlich bis hin zu ihren Essgewohnheiten verändern», sagte der Minister der «Bild am Sonntag». Er gestand «große Sorge vor gut vorbereiteten Tätern» wie jetzt in Paris ein. De Maizière betonte aber auch, man solle ein Klima des Misstrauens vermeiden.

dpa