Wire-Boss Newman hat einen Lauf

Wer mag wohl der Neue bei Wire sein? Foto: Owen Richards
Wer mag wohl der Neue bei Wire sein? Foto: Owen Richards

Ihr 1977 erschienenes Album «Pink Flag» taucht bis heute in allen ewigen Bestenlisten der Rockmusik auf. Auch das Label der britischen Postpunk-Pioniere Wire heißt Pink Flag. Ihre dort erschienene neue Platte: ein atem-beraubendes Alterswerk. «Wire» (Pink Flag /Cargo), so der schlichte Titel dieses wirklich unglaublich frisch und zeitlos klingenden Albums, wird in Großbritannien schon als eines der allerbesten in der langen, ruhmreichen Wire-Historie bejubelt. Und das zu Recht: 

Denn die elf Songs bersten vor Energie, sie vereinen Pop-Melodien (so klar wie selten zuvor bei dieser auch wüster Avantgarde und anstrengender Frickelei nicht ganz abgeneigten Band), sägende Gitarren, treibende Krautrock-Motorik und Bass-Grooves, wie man sie lange nicht mehr gehört hat. Obwohl - stimmt gar nicht: Erst vor wenigen Wochen erschien mit «Waiting For A Sign» von Githead (Swim/Cargo) eine Platte mit ähnlicher Tieftöner-Wucht, ähnlich lava-artig dahinfließenden Rock-Brocken und einer insgesamt sehr ähnlichen Stimmung. Der gemeinsame Faktor: Auch beim Quartett Githead stand Wire-Kopf Colin Newman als Sänger, Gitarrist und Songwriter ganz oben im Line-Up. Der Mann hat also einen Lauf mit seinen 60 Jahren.

Schon im «Wire»-Opener «Blogging», einem Song über die schöne neue digitale Welt, entwickelt Newmans Hauptband eine unwiderstehliche Sogwirkung. Fast 40 Jahre besteht diese Formation nun, mit mehr oder weniger großen schöpferischen Pausen, aber dafür auch ohne wirklich miese Platten. Selten aber waren die Harmonien so zugänglich wie diesmal, selten klang Newmans nasaler Gesang so unbeschwert, selten war der Sound so knackig produziert wie auf ihrem 13. Studioalbum.

Besonders gelungen ist das ganz laut «Indiepop-Hit!!!» rufende «In Manchester». Zwei weitere Songs stechen mit gut sieben Minuten («Sleep-Walking») beziehungsweise acht Minuten Länge («Harpooned») hervor. Und beide wissen mit ihrer Zeit etwas anzufangen. Vor allem «Sleep-Walking» mit massiven Hammerschlag-Drums und düsterem Bass-/Gitarre-Gedröhne knüpft dabei an frühere Zeiten von Wire kongenial an.

Von der Originalbesetzung des Quartetts sind anno 2015 immerhin noch drei Musiker übrig: Newman, Bassist Graham Lewis und Schlagzeuger Robert Grey. Hinzu kam mit Gitarrist Matthew Simms ein etwa 30 Jahre jüngerer Neuling, der nach Ansicht des Wire-Bosses «eine ganz neue Dynamik» in den Sound brachte. Falls das bei Wire, diesen stets dynamisch voranschreitenden Punk- und Wave-Urgesteinen, jemals notwendig war... Wie auch immer: Diese Band hat - das darf man jetzt schon sagen - eines der eindrucksvollsten Rock-Alben dieses Jahres abgeliefert.

dpa