Organspende erfordert Ruhe und Einfühlungsvermögen

In solchen Behältern werden Organe transportiert. Doch bevor es so weit ist, bedarf meist viel Aufklärungsarbeit bei den Angehörigen. Foto: Soeren Stache
In solchen Behältern werden Organe transportiert. Doch bevor es so weit ist, bedarf meist viel Aufklärungsarbeit bei den Angehörigen. Foto: Soeren Stache

Nach dem Tod noch Leben retten. Eine gespendete Niere oder Leber können chronisch Kranken oft nach langer Wartezeit das Leben retten. Aber wie läuft so eine Organspende eigentlich genau ab? Auch wenn das Gehirn tot ist, kann das Herz noch schlagen. Für Angehörige fällt es meist schwer, einer Organ-spende zuzustimmen. Ärzte benötigen daher viel Feingefühl und ein offenes Ohr. 

In Nordrhein-Westfalen gibt es neun Kliniken, die Spenderorgane transplantieren. Dr. Ulrike Wirges ist geschäftsführende Ärztin der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in NRW. Zum Tag der Organspende am 6. Juni beantwortet sie die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet die Diagnose Hirntod genau?

Dr. Ulrike Wirges: Das ist der Zustand der unwiederbringlich erloschenen Gesamtfunktion des Gehirns. Das Gehirn ist übergeordnetes Steuerorgan aller lebenswichtigen Funktionen. Viele Organe können heute für einen bestimmten Zeitraum künstlich ersetzt oder in der Funktion gehalten werden. Für das Gehirn gilt das nicht. Ist seine Funktion irreparabel zerstört, ist der Mensch als Individuum endgültig gestorben. Die Körperfunktionen können aber durch intensivmedizinische Maßnahmen und künstliche Beatmung für einen kurzen Zeitraum aufrechterhalten werden.

Wie läuft ein Gespräch mit Angehörigen ab?

Wirges: Den Angehörigen muss zunächst der Zustand ihres geliebten Menschen erklärt werden und was der irreparable Ausfall der Gehirnfunktionen bedeutet und wie er festgestellt wurde. Das ist der furchtbare Moment, die Todesnachricht zu überbringen. Das muss man mit Ruhe und mit Einfühlsamkeit machen, damit es verstanden wird. Erst danach stellt sich dann die Frage, ob der Verstorbene einer Organspende zu Lebzeiten zugestimmt hatte. In vielen Fällen haben die Angehörigen keine Kenntnis darüber, weil nie über das Thema gesprochen wurde. Und dann stellt sich die Frage für die Familie: Dürfen wir diese noch funktionierenden Organe als lebensrettende Hilfe für andere verwenden?

Welche Bedenken haben Angehörige?

Wirges: Die Situation ist für die Angehörigen sehr schwer - sie haben einen geliebten Menschen verloren, der noch beatmet wird und bei dem keine äußerlichen Todeszeichen erkennbar sind, er vermittelt eher den Eindruck, nur zu schlafen. Da entstehen Bedenken und Zweifel. Ist dieser Mensch auch wirklich tot? Aber medizinisch ist dieser Mensch tot und kann durch keine Therapie mehr ins Leben zurückgeholt werden.

Wie wird entschieden, wer das Spenderorgan bekommt?

Wirges: Die Koordinatoren der DSO in den Krankenhäusern prüfen, in welchem Zustand sich das Organ befindet. Ist es für eine Transplantation geeignet, leiten wir alle Daten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant, wo die medizinisch geeigneten Empfänger ermittelt werden. Die Klinik mit dem passenden Wartepatienten bekommt dann von Eurotransplant das Organangebot.

Wie kommt das Spenderorgan dann zum Empfänger?

Wirges: Für die Vermittlung werden drei bis sechs Stunden veranschlagt. Wenn wir wissen, wohin das Organ geht, veranlassen wir die Organentnahme und kümmern uns um die gekühlten Boxen für den Transport. Nach der Operation werden die Organe sorgfältig verpackt und auf dem schnellstmöglichen Weg in die Klinik transportiert, wo der Empfänger bereits wartet. Das ist manchmal sehr aufwendig, zum Beispiel, wenn die Organe ins Ausland gehen. Meist werden die Organe mit dem Pkw transportiert oder geflogen. Im Flugzeug steht die Box immer hinter dem Piloten-Cockpit. Wir bekommen eine Rückmeldung, ob das Organ unbeschadet angekommen ist und später auch, ob die Transplantation erfolgreich war.

Wie wichtig ist ein Spenderausweis?

Wirges: Der ist sehr wichtig, weil hier die persönliche Entscheidung dokumentiert werden kann. Das entlastet vor allem die Angehörigen, die ansonsten oft zweifeln, ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Unsere Aufgabe ist es, den Willen des Verstorbenen umzusetzen, der verfügt hat, nach seinem Tod anderen Menschen mit seinen Organen zu helfen. Genauso verbindlich ist es, wenn auf dem Spenderausweis vermerkt ist, dass man kein Organspender sein möchte oder nur bestimmte Organe spenden möchte.

In Belgien, Frankreich oder Österreich ist jeder Organspender, der nicht offiziell widerspricht. Ist diese Widerspruchslösung ein Vorbild für Deutschland?

Wirges: Ich denke, dass Organspende nur dann tragfähig ist, wenn man in dem jeweiligen Land einen entsprechenden Konsens herstellen kann. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung und jeder Bürger wird regelmäßig von seiner Krankenkasse informiert und daran erinnert, seine Entscheidung zu treffen. Wie die aktuellen Umfragen zeigen, haben mittlerweile 35 Prozent der Menschen in Deutschland einen Organspendeausweis. Hier müssen wir weiter ansetzen und die Menschen informieren und aufklären. Die Erfahrung zeigt uns, dass die Menschen, die umfangreich informiert sind, auch eher einer Organspende zustimmen.

Zur Person: Dr. Ulrike Wirges ist seit zehn Jahren geschäftsführende Ärztin der Deutschen Stiftung Organtransplantation in Nordrhein-Westfalen. Von 1989 bis 1997 war sie als Notärztin in Duisburg, Krefeld und Viersen im Einsatz.

dpa