Krimi "Kellerkind" blickt in seelische Abgründe

Das Cover des Buches «Kellerkind» von Nicole Neubauer. Foto: Blanvalet Verlag München
Das Cover des Buches «Kellerkind» von Nicole Neubauer. Foto: Blanvalet Verlag München

Die blutüberströmte Leiche einer Frau in ihrer durchgestylten Schwabinger Wohnung und ein völlig verstörter und misshandelter Junge im Keller der Toten - das ist das Ausgangsszenario für drei Münchner Ermittler. Bei ihren Recherchen stoßen Hauptkommissar Michael Waechter und seine Kollegen Hannes Brandl und Elli Schuster auf mehr Ungereimtheiten als erhellende Fakten.

In ihrem Debüt-Krimi «Kellerkind» führt Autorin Nicole Neubauer durch die elitäre Gesellschaft der bayerischen Landeshauptstadt und in Abgründe der menschlichen Seele. 

Beides zum Frösteln - von außen verstärkt durch Schnee und Eis in einem Jahrhundertwinter. Rose Benninghoff, früher eine erfolgreiche Anwältin, hatte so gut wie keine Freunde und Verwandte. Und doch war ausgerechnet sie es, die sich des jungen Olivers angenommen hatte. Scheinbar war die ebenso kühle wie zurückhaltende Frau der einzige Halt des 14-Jährigen, der ansonsten allein mit seinem autoritären und strengen Vater in einer Nobelvilla lebte. Was hatte er im Keller der Frau verloren? Und wieso war er so zugerichtet? Nicht leicht für die Beamten, in ihm den Hauptverdächtigen zu sehen. Doch Blutspuren an ihm, die nachweislich von der Ermordeten stammten, sind nicht von der Hand zu wischende Indizien.

Oliver steht im also Mittelpunkt der Ermittlungen - ein schwer traumatisiertes Kind, dem der Anblick der Frau mit durchschnittener Kehle und selbst erlebte grausame Misshandlungen im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen haben. In seinem Hirn klaffen große Erinnerungslücken. Diese, seine inneren Kämpfe und der äußere Druck des Vaters lassen keine klare Aussage zu. Der Polizei erscheint er ebenso unglaubwürdig wie sein Erzeuger, der sich als Ex-Geliebter der Anwältin entpuppt. Hinzu kommen eine Nachbarin, die mehr über Rose zu wissen scheint, als sie preisgibt, und ein dementer Maler, der irgendwie mit Rose in Kontakt stand.

Neubauer (Jahrgang 1972), die neben Literaturwissenschaften auch Jura studierte, betreibt in ihrem Krimi ausgiebige Milieu- und Charakterstudien. So widmet sie dem privaten und beruflichen Umfeld der Polizisten oft mehr Raum als den eigentlichen Ermittlungen - nicht ohne Spitzen gegen die Verflechtung zwischen Politik, Wirtschaft und der gesellschaftlichen Oberschicht. Zu jener gehört auch Olivers Vater, ein ebenso unsäglicher wie bemitleidenswerter Typ, der die Hilferufe seines Sohnes nicht nur ignoriert, sondern auf ganzer Linie menschlich versagt.

Die Münchner Autorin schafft einen seltsamen Kontrast: Ihre lockere, ja oft schnoddrige Schreibe steht einem düsteren Plot gegenüber, der nicht nur den Mord an einer Frau und die Vernachlässigung eines Kindes umfasst, sondern auch die alltägliche Tristesse und ein umfassendes Versagen der Protagonisten. So ist ein dichter, sehr spannender Krimi entstanden, in dem allenfalls einige eingestreute urbayerische Begriffe (Graffel, Hatscherte, Drecksschratzn) verwirren. Aber das ist wohl Geschmacksache.

Nicole Neubauer: Kellerkind, Blanvalet Verlag München, 416 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-4423-8337-5

dpa