Zweite Stufe der Pflegereform definiert Pflegebedürftigkeit neu 

Eine Bewohnerin einer Seniorenwohnanlage bekommt den Blutdruck gemessen. Foto: Marijan Murat/Illustration
Eine Bewohnerin einer Seniorenwohnanlage bekommt den Blutdruck gemessen. Foto: Marijan Murat/Illustration

An einer Pflegereform sind schon einige Minister gescheitert. Hermann Gröhe ging sie in zwei Schritten an. Die zweite Stufe ist nun auf dem parlamentarischen Weg. Viele sagen: Die Richtung stimmt, doch Gröhes Pläne reichen nicht aus. 20 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung soll das System umfassend modernisiert werden. Die Bundesregierung will das Leistungsangebot verbessern und die Zahl der Pflegekräfte aufstocken.

Kein Pflegebedürftiger werde durch die Umstellung auf das neue System schlechter gestellt, versicherte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). 

Das Kabinett hatte zuvor die zweite Stufe seiner Pflegereform gebilligt. Das erste sogenannte Pflegestärkungsgesetz war schon Anfang des Jahres in Kraft getreten. Kernpunkt der zweiten Reformstufe ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der dementen Patienten den gleichen Zugang zu Pflegeleistungen ermöglicht wie körperlich Behinderten. Die bisherigen drei Pflegestufen sollen auf fünf Pflegegrade erweitert werden. Beide Stufen zusammen erhöhen die Beiträge zur Pflegeversicherung von 2,05 Prozent auf 2,55 Prozent im Jahr 2017. Das soll rund fünf Milliarden Euro bringen. Gröhe geht davon aus, dass damit bis 2022 die Reformen finanziert werden können.

«Diese Reform nutzt allen - den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und unseren Pflegekräften», versicherte der Minister. Der tatsächliche Unterstützungsbedarf werde besser erfasst. «Über die Leistungshöhe entscheidet künftig, was jemand noch selbst kann und wo sie oder er Unterstützung braucht.»

Anbieter von Pflegediensten äußerten sich grundsätzlich positiv, mahnten jedoch Nachbesserungen an. Die Grünen-Gesundheitsexpertin Kordula Schulz-Asche erklärte, die Reform sei nicht ganz falsch, doch der massive Personalmangel werde nicht angegangen. Auch für die Deutsche Stiftung Patientenschutz greifen die Pläne zu kurz. «Es fehlt ein Konzept, das die Pflege zukunftssicher und generationengerecht macht», sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der dpa. «Schon in sieben Jahren geht das Geld aus. Dann drohen den Beitragszahlern von heute Leistungskürzungen im Alter.»

Mit dem Pflegegrad 1 soll die Unterstützung früher als bisher beginnen. Mittelfristig könnten bis zu 500 000 Menschen zusätzlich in den Genuss von Pflegeleistungen kommen, schätzt Gröhe. «Außerdem entlasten wir pflegende Angehörige und sorgen dafür, dass sie in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert sind.»

Die privaten Sozialdienste sprechen von einem Fortschritt. «Für die meisten Betroffenen werden die Leistungen verbessert, und sie werden genauer eingruppiert», hieß es beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Die AOK Baden-Württemberg begrüßte, dass «endlich die Ungleichbehandlung von Menschen mit körperlichen Beschwerden und kognitiven Einschränkungen aufgehoben» werde.

Auch der Deutsche Pflegerat begrüßte den Kabinettsbeschluss. «Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wird die Pflegeversicherung auf ein neues Fundament gestellt», sagt Ratspräsident Andreas Westerfellhaus. Nachhaltigen Erfolg könne es allerdings nur mit zusätzlichem Fachpersonal geben. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, kritisierte: «Im Gesetz fehlt eine automatische Anpassung an das Preis- und Einkommensniveau.»

Brysch bemängelte zudem, dass Heimbewohner medizinische Behandlungspflege wie Medikamentengabe oder Verbandswechsel durch examinierte Pflegekräfte weiter selbst zahlen müssten. Bei Pflegebedürftigen daheim komme die gesetzliche Krankenversicherung dafür auf. «Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich bedenklich», sagte er. Die Stiftung prüfe deshalb eine Verfassungsklage.

dpa