Winterkorn: VW muss sich in digitaler Revolution neu erfinden

Den Golf mit dem Smartphone auf fahrerlose Parkplatzsuche schicken. Dinge, wie diese könnten in Zukunft Wirklichkeit werden. VW-Chef Winterkorn sieht die Autobranche mitten im digitalisierten Umbruch. Foto: Julian Stratenschulte
Den Golf mit dem Smartphone auf fahrerlose Parkplatzsuche schicken. Dinge, wie diese könnten in Zukunft Wirklichkeit werden. VW-Chef Winterkorn sieht die Autobranche mitten im digitalisierten Umbruch. Foto: Julian Stratenschulte

Der Machtkampf mit VW-Patriarch Piëch hätte Volkswagen-Chef Martin Winterkorn fast das Amt gekostet. Inzwischen sitzt er so fest im Sattel wie nie und soll den Konzern bis Ende 2018 führen. Dabei will Winterkorn einen Scheideweg meistern und VW neu aufstellen. Nach der Führungskrise diesen Frühling ist Volkswagens Vorstandschef Martin Winterkorn wieder zurück bei den Sachthemen. Seine Branche stecke in einer Revolution, bei der die Digitalisierung alles infrage stelle, sagte Winterkorn im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

So sei etwa ein VW-Vorstandsposten für die IT denkbar, wie der VW-Chef vor Beginn der Internationalen Automobilausstellung IAA erklärte. Den Wettkampf mit neuen Konkurrenten wie Google und Apple sieht der 68-Jährige sportlich. Herr Winterkorn, die IAA steht vor der Tür. Die Autobranche steckt mitten in einem Wandel - wie grundlegend ist dieser, welches sind die größten Herausforderungen für die Automobilindustrie?

Martin Winterkorn: In der Tat erlebt die Automobilwelt einen historischen Umbruch. Man kann hier durchaus von einer digitalen Revolution beim Automobil sprechen: Alternative Antriebe, automatisiertes Fahren, die vollständige Vernetzung des Automobils, «Big Data», neue Werkstoffe und immer effizientere Produktionsverfahren.

Wir waren mit unserem Programm «Future Tracks» die Ersten, die laut und deutlich über die Umbrüche im Automobilgeschäft gesprochen und gehandelt haben. Jetzt erlebe ich im Unternehmen eine große Aufbruchstimmung. Wir sind dabei, Volkswagen ein Stück weit neu zu erfinden.

Der VW-Konzern musste seine Absatzprognose für 2015 kassieren, vor allem aufgrund der Schwäche der Märkte in Brasilien und China. Wie bewerten Sie die Lage in China, dem wichtigsten VW-Markt?

Martin Winterkorn: Volkswagen ist in China so gut aufgestellt wie kein zweiter Automobilhersteller. Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund für Schwarzmalerei. In China warten unverändert Millionen Menschen darauf, ihr erstes eigenes Auto zu kaufen. Die Mittelschicht wächst. Insbesondere im Westen des Landes gibt es riesige Potenziale.

Fakt ist: Der chinesische Automobilmarkt wird reifer und wächst nicht mehr so rasant wie bislang. Von dieser nachlassenden Dynamik sind übrigens alle Automobilhersteller betroffen. Dass sich der Markt früher oder später normalisieren wird, war uns lange klar. China nähert sich derzeit der Situation in entwickelten Märkten an. Aber China bleibt weiterhin der wichtigste automobile Wachstumsmarkt.

Im boomenden Segment der günstigen Geländelimousinen (SUV) bis 20 000 Euro hat VW in China kein Angebot. Wie schnell können Sie da nachbessern?

Martin Winterkorn: Wir bringen allein in diesem Jahr 60 neue Modelle und Derivate in China an den Start. Die Nachfrage nach einem SUV in den Einsteigersegmenten ist längst erkannt. Unser Zeitplan für die Einführung neuer Modelle steht. Wir gehen diese Projekte mit Hochdruck an.

Was machen Ihre Pläne für ein Billigauto, das laut früheren Angaben schon längst auf dem Markt sein sollte? Wann genau kommt das Budget Car, gibt es dafür eine neue 13. Konzernmarke und wie wichtig ist günstige Mobilität generell für die Schwellenländer?

Martin Winterkorn: Wir bringen ab 2018 eine Budget-Car-Familie in China auf den Markt, mit SUV, Stufen- und Schrägheck - unter einem neuen Markennamen. Wir bauen diese Fahrzeuge lokal in China, die Modelle werden etwa zwischen 8000 und 11 000 Euro kosten. Natürlich würden wir schon gern heute solche Autos anbieten. Aber wir bauen keine Modelle, die sich nicht rechnen. Wenn man die hohen Qualitätsstandards auch hier nicht aufgeben will, dann ist es sehr zeitintensiv, die richtigen lokalen Lieferanten mit passendenden Konditionen zu finden. Das haben wir jetzt geschafft.

Die Elektromobilität kommt nicht richtig in Fahrt. Warum nicht? Welche Forderungen haben Sie an die Politik, muss es mehr staatliche Förderung geben?

Martin Winterkorn: Die richtigen Autos sind da. Schon heute verfügt unser Konzern über die breiteste Elektro-Flotte der Automobilwelt. Und wir werden auf der IAA zeigen, dass wir diesen Weg mit weiteren neuen Modellen, mehr Reichweite und kurzen Ladezeiten konsequent weitergehen. In China, USA oder etwa Norwegen gibt es politische Unterstützung für die Elektromobilität. Jetzt braucht es auch hier die richtigen Rahmenbedingungen, damit sich die Elektromobilität beim Kunden durchsetzen kann. Statt Stückwerk bedarf es einer schlüssigen Gesamtstrategie der Politik für die künftige Entwicklung der europäischen Autoindustrie. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Industrie und dabei spielt die Elektromobilität eine zentrale Rolle.

Autos werden Teil des Internets, sie hängen immer stärker an der Datenautobahn und Ihre neuen Konkurrenten heißen Apple oder Google. Wie schätzen Sie die neue Konkurrenz ein? Was muss die Autoindustrie nun tun?

Martin Winterkorn: Herzlich willkommen Google, Apple und alle anderen, für die offenbar unser Kernprodukt hochattraktiv ist. Ich freue mich auf den sportlichen Wettkampf um die beste Lösung. Aber ich bin überzeugt: Volkswagen behält seine Führungsrolle. Unser Konzern ist mit seinen 11 000 Informatikern und Daten-Analysten längst selbst zu einem der größten IT-Unternehmen des Landes geworden.

Als Ingenieur sehe ich diesen technologischen Umbruch unserer Branche nicht als Bedrohung, sondern vor allem als große Chance für den Automobilstandort Deutschland. Und ganz besonders für unseren Konzern. Als einer der Technologieführer können und werden wir den Wandel kräftig vorantreiben. Mobilität in all ihren Facetten wird auch im digitalen Zeitalter unsere ureigene Domäne und Leidenschaft bleiben.

Sie selber sind Metallphysiker und es heißt, bei VW müsse immer ein Techniker das Sagen haben. Ist im VW-Konzern absehbar ein Vorstandsposten für die IT denkbar, etwa mit einem ausgewiesenen Softwareexperten? Und könnte ein solcher Manager den Konzern in fernerer Zukunft auch lenken?

Martin Winterkorn: Warum denn nicht? Die beschriebene digitale Revolution beim Automobil erfordert Veränderungen im Denken und Handeln auf allen Ebenen. An die Spitze eines Unternehmens gehören immer die besten Köpfe.

Volkswagen begegnet den Verschiebungen in der Autobranche auch mit einem grundlegenden Konzernumbau. Im Gespräch sind dezentrale Strukturen und mehr Macht für die einzelnen Marken. Auch Sie selber haben die Führung der Pkw-Kernmarke kürzlich abgetreten an den früheren BMW-Vorstand Herbert Diess. Inwiefern haben Kritiker Recht, wenn sie sagen, der Konzern werde zu sehr von Wolfsburg gesteuert?

Martin Winterkorn: Volkswagen ist in den vergangenen Jahren ein anderer Konzern geworden. Wir haben mit Porsche, MAN, Scania und Ducati neue Marken integriert. Etwa beim Umsatz oder der Mitarbeiterzahl sind wir in ganz neue Dimensionen gewachsen. Darauf reagieren wir jetzt und machen den Konzern schneller, flexibler und beweglicher. Die Ergebnisse werden wir kurzfristig präsentieren. Unser Ziel ist klar. Wir brauchen eine zentrale, starke Konzernsteuerung aus Wolfsburg heraus genauso wie die Nähe zum Kunden überall auf der Welt.

dpa