VW-Chef: Skandal trifft Mitarbeiter nicht

Mitten in der Abgas-Affäre ist in der Niedersächsischen Staatskanzlei eine VW-Akte verschwunden. Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Mitten in der Abgas-Affäre ist in der Niedersächsischen Staatskanzlei eine VW-Akte verschwunden. Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Seit gut einem Monat überrollt der Skandal um manipulierte Abgaswerte Europas größten Autobauer VW. Bei einem Werksbesuch stärken wichtige Akteure den Mitarbeitern demonstrativ den Rücken. Doch zentrale Fragen bleiben nach wie vor offen. Die VW-Mitarbeiter müssen nach Aussage des neuen Konzernchefs Matthias Müller derzeit keine Folgen des Diesel-Skandals fürchten. «Im Moment haben wir keinen Anlass, über Kurzarbeit auch nur nachzudenken», sagte Müller in Wolfsburg.

Der Abgas-Skandal hat laut Betriebsrat noch nicht auf die Verkäufe durchgeschlagen. Derweil verhängte Volkswagen Verkaufsstopps in allen EU-Ländern für wenige betroffene Autos, die noch auf Lager stehen. Zur Frage, ob unter Umständen eine Reduzierung der Leiharbeit erwägt werde, äußerte sich Müller nicht. Betriebsratschef Bernd Osterloh räumte aber ein, dass der Vorstand sich darüber Gedanken mache. Für neuen Ärger sorgte eine aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwundene VW-Akte. VW hatte vor gut einem Monat eingeräumt, die Abgaswerte von Millionen Dieselwagen manipuliert zu haben.

Müller besuchte zusammen mit Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) sowie Osterloh Mitarbeiter in der Wolfsburger Golf-Produktion. Der Konzern muss wegen des Abgas-Skandals allein in Deutschland 2,4 Millionen Diesel in die Werkstatt rufen. Die Aktion soll im Januar beginnen. EU-weit sind rund 8,5 Millionen Fahrzeuge betroffen.

Der Vorstandschef bat um Geduld bei der Suche nach Antworten zur Schuldfrage: «Es ist nach wie vor so, dass wir in der Aufklärung begriffen sind.» Parallel dazu gelte es nun, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um ähnlichen Verfehlungen künftig vorzubeugen. Zudem liege ein Hauptaugenmerk auf der Reform der Strukturen. Das Unternehmen müsse «schlanker, disziplinierter und entscheidungsfreudiger» werden.

Müller hatte Ende September Martin Winterkorn abgelöst. Dieser hatte die Verantwortung für manipulierte Stickoxid-Messwerte in den USA übernommen, ein persönliches Fehlverhalten aber zurückgewiesen.

Weil betonte, ein Aspekt komme derzeit oft zu kurz: «Volkswagen ist eine Perle der deutschen Industrie.» Der Belegschaft sei klar, dass der Konzern durch eine schwierige Phase gehe. Es sei aber gleichzeitig ein starker Wille der Mitarbeiter zu erkennen, für ihr Unternehmen zu kämpfen, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Osterloh, der wie Weil im VW-Aufsichtsrat sitzt, unterstrich nach dem Besuch die enge Allianz zwischen Niedersachsen als VW-Großeigner und der Arbeitnehmerseite. «Das Land steht zu 100 Prozent hinter Volkswagen und der Belegschaftsvertretung», sagte Osterloh.

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur bestätigte der Betriebsratschef, dass der VW-Vorstand über Szenarien für eine Reduzierung der Leiharbeit nachdenke, falls sich der Absatz rückläufig entwickeln sollte. «Und es wäre Blödsinn, heute den Leuten zu sagen "Dein Arbeitsplatz ist sicher", wenn ich das im Moment gar nicht sagen kann. Man muss auf alle Eventualitäten vorbereitet sein», betonte Osterloh.

Für neue Irritationen sorgten indes aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwundene Dokumente zum Abgas-Skandal. In der sogenannten Handakte werden fortlaufend Material und Informationen zu der Affäre gesammelt. Aufgrund einer Strafanzeige der Landesregierung ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover wegen Diebstahls gegen Unbekannt. In dem Ordner sollen jedoch keine brisanten Informationen wie etwa Aufsichtsratsunterlagen sein.

In der EU verkauft Volkswagen jetzt gar keine Neuwagen mehr mit dem betroffenen Motor EA 189. Bisher standen vereinzelt noch ältere Diesel-Neuwagen mit der Manipulations-Software bei Händlern im Lager - nun hat VW dafür einen Verkaufsstopp in allen 28 EU-Ländern verhängt.

Es handle sich dabei um eine «sehr begrenzte Anzahl», sagte ein Konzernsprecher. «In Einzelfällen» könne es daher passieren, dass Kunden bestellte Fahrzeuge deshalb nun nicht ausgeliefert bekommen. Die neue Generation der VW-Dieselmodelle hat neue Motoren, die die Euro-6-Norm erfüllen und nicht von den Rückrufen betroffen sind.

Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, kündigte als Antwort auf den Skandal an, mit «wesentlich mehr Elektromobilität» wieder in die Offensive zu kommen. Bei einer Betriebsversammlung in Ingolstadt sagte der Manager vor rund 7000 Mitarbeitern: «Die Diesel-Affäre befeuert unsere Pläne. Wir machen jetzt richtig Tempo.» Audi werde 2018 einen elektrischen SUV und kurz darauf weitere rein elektrische Autos auf den Markt bringen. Wegen des Abgas-Debakels muss Audi mehr als zwei Millionen Diesel-Fahrzeuge zurückrufen.

Auch Toyota kündigte eine große Rückrufaktion an. Weltweit muss der japanische Autoriese nach eigenen Angaben 6,5 Millionen Wagen in die Werkstätten beordern. Grund sei ein Defekt bei Fensterhebern. Erst im vergangenen Jahr hatte Toyota Millionen von Fahrzeugen zurückgerufen.

Volkswagen und Toyota liefern sich ein Wettrennen um den Titel des weltgrößten Autokonzerns. Die Wolfsburger stehen wegen der Abgas-Affäre vor dem größten Rückruf ihrer Geschichte: In den 28 EU-Ländern holt VW 8,5 Millionen Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten. Rund 2,4 Millionen davon entfallen auf den Heimatmarkt Deutschland.

dpa