Industrie mahnt in Flüchtlingskrise Einigkeit an

BDI-Präsident Grillo über die Flüchtlingskrise: «Diese Situation wird dauern und eine gewaltige Kraftanstrengung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.» Foto: Bernd von Jutrczenka
BDI-Präsident Grillo über die Flüchtlingskrise: «Diese Situation wird dauern und eine gewaltige Kraftanstrengung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.» Foto: Bernd von Jutrczenka

Klare Ansage von der Wirtschaft: Statt über Worte wie «Transitzonen» zu streiten, sollten Union und SPD die Flüchtlingskrise effizient lösen. Für Deutschland bleibt der Industrieverband BDI optimistischer als andere Ökonomen. Merkel wirbt weiter für eine europäische Lösung. Die deutsche Industrie hat die große Koalition zu Geschlossenheit in der Flüchtlingskrise aufgefordert.

«Diese Situation wird dauern und eine gewaltige Kraftanstrengung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft», sagte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Ulrich Grillo, in Berlin. 

«Deshalb ist mehr Einigkeit in der Koalition unabdingbar.» Erforderlich sei ein effizientes Krisenmanagement: «Es kann nicht sein, dass man (...) sich über die Worte "Transitzonen" oder "Einwanderungszentren" streitet.»  Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ging beim Tag der Deutschen Industrie nicht auf den Koalitionsstreit ein, warnte aber Europa, in der Flüchtlingskrise das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. «Wenn wir zu klein denken, wenn wir zu sehr auf uns bezogen denken, dann wird das wieder eine große Gefährdung für Europa sein», sagte Merkel. Die rund 1200 Manager rief sie auf, über ihre Kontakte im Ausland für eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderungen zu werben. «Denn die, die heute in Europa meinen, sie seien davon nicht betroffen, werden morgen in irgendeiner Weise davon betroffen sein - und sei es, indem man die Einheit Europas infrage stellt», sagte Merkel. Sie warb erneut für eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa.

SPD-Chef Sigmar Gabriel (SPD) hält den aktuellen Koalitionsstreit über Transitzonen für Flüchtlinge überbewertet. «Manchmal ist nicht alles so dramatisch, wie es sich liest.» Es sei «relativ albern», über ein Problem zu streiten, das nur 2,4 Prozent der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge betreffe. So kämen kaum noch Menschen vom Westbalkan nach Deutschland, also aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.

Nach dem Willen der Union sollen in Transitzonen im Schnellverfahren Anträge von Schutzsuchenden abgewickelt werden, die voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl haben, weil sie zum Beispiel aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen.

Gabriel zufolge ist nicht die Zahl der nach Deutschland kommenden Menschen das Problem, sondern das Tempo der Entwicklung. Bei der Bewältigung des Zustroms müssten Zuversicht und Realismus zusammenkommen. Es werde mindestens zehn Jahre dauern, die notwendige Infrastruktur für Bildung und Ausbildung zu schaffen.

Der BDI nannte als zentrale Herausforderung, möglichst viele Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Derzeit gebe es rund 600 000 offene Stellen. Grillo mahnte aber: «Weder Sprachkenntnis noch Qualifikation können herbeigewünscht werden.»

Das gegenwärtige Wirtschaftswachstum in Deutschland sei kein Selbstläufer, der Aufschwung noch nicht nachhaltig genug, sagte Grillo. Für dieses Jahr erwartet der BDI jedoch weiter ein Konjunkturplus von bis zu zwei Prozent. Er ist damit optimistischer als die Bundesregierung und andere Ökonomen. BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber begründete die Prognose damit, dass sich der private Konsum und der Außenhandel als die zwei großen Stützen der Konjunktur unverändert gut entwickelten. 

Der britische Finanzminister George Osborne warb auf dem Industrie-Tag für Reformen in der EU und einen «Deal» zwischen der Euro-Zone und den Nicht-Euroländern. «Wir wollen, dass Großbritannien in einer reformierten EU bleibt. Aber die EU muss besser funktionieren - für alle Bürger in Europa und für Großbritannien.» Die Beziehung zwischen Nicht-Euro-Ländern wie Großbritannien und der Währungsunion müsse verbessert werden.

Nicht-Euro-Länder dürften nicht benachteiligt werden. Diese benötigten eine Garantie, weder Entscheidungen noch Kosten der Eurozone aufgedrückt zu bekommen. Osborne warb für eine Vereinbarung: «Sie bekommen eine Eurozone, die besser funktioniert, und wir bekommen Garantien, dass Entscheidungen der Eurozonen und ihre Kosten für uns außen vor bleiben.» Die Briten stimmen bis spätestens Ende 2017 darüber ab, ob sie EU-Mitglied bleiben wollen.

dpa