Aufarbeiten des Hamburger Olympia-Abstimmungsdebakels

Ein Trauerflor hängt an einer Standarte mit dem Wappen Hamburgs und den Olympischen Ringen. Foto: Christian Charisius
Ein Trauerflor hängt an einer Standarte mit dem Wappen Hamburgs und den Olympischen Ringen. Foto: Christian Charisius

Wie weiter im deutschen Sport? Was ist aus dem Nein der Hamburger zu lernen? Und wer hat Schuld? Am Tag nach der Abfuhr für Olympische Spiele in Deutschland ist das Entsetzen groß. Die Aufarbeitung des Wahl-Desasters wird garantiert schwierig.

«Dolchstoß», «Schmach», «Sargnagel»: Das Hamburger Bewerbungsdesaster lässt den deutschen Sport ratlos zurück und macht alle Hoffnungen auf Olympia im eigenen Land für lange Zeit zunichte.

 

«Dieses Signal sollte der gesamte Sport in Deutschland sehr ernst nehmen», sagte DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball, der sich mit seinem Verband um die Ausrichtung der EM 2024 bewirbt.

Wenige Woche nach dem kontinentalen Fußball-Turnier hätten die Spitzen von Sport und Politik auch gerne Olympia-Fans aus aller Welt in Deutschland begrüßt. Doch daraus wird nichts - wohl für Jahrzehnte, wie Sportfunktionäre allesamt glauben. Welche Folgen das mehrheitliche Nein der Hamburger zu Sommerspielen 2024 beispielsweise für den deutschen Leistungssport hat, ist noch nicht abzusehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm das Votum «mit Bedauern zur Kenntnis», wie die Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz sagte. «Aber natürlich ist es so (...), dass dieses Ergebnis zu respektieren ist.» Die Kanzlerin erkenne selbstverständlich den Volkswillen an.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) respektiere das Nein: «Sicherlich werden künftige Bewerbungen - jedenfalls in naher Zukunft - durch ein solches Votum wohl nicht einfacher.»

Die Spitzenfunktionäre des deutschen Sports suchten am Tag nach dem Desaster händeringend nach Erklärungen, die Entscheidung hatte sie kalt erwischt.

Man müsse analysieren, was die Gründe waren «und dann müssen wir auch die Konsequenzen daraus ziehen und müssen den Sport für alle - aber auch den Spitzensport - weiter fördern», sagte Michael Vesper, Vorstand im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

51,6 Prozent der 651 589 Hamburger, die sich am Referendum beteiligten, waren gegen Olympia. Nur 48,4 Prozent votierten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis dafür.

«Hamburg meine Perle vor die Säue geworfen. Das Tor zur olympischen (Sport)welt für immer geschlossen», twitterte der Handball-Altstar Stefan Kretzschmar, der wie viele Sportler mit Unverständnis reagierte. Von einem «Sargnagel für den Leistungssport», sprach die dreimalige Schwimm-Paralympics-Siegerin Kirsten Bruhn.

Auf der Mitgliederversammlung des DOSB am Samstag in Hannover sollen nun die Folgen offen und transparent diskutiert werden, kündigte Verbandspräsident Alfons Hörmann an. Ob es dann auch Personaldebatten geben wird, ist noch nicht abzusehen. Olympia sollte den deutschen Spitzensport beflügeln. Diese Chance für die kommende Generation sei vergeben, sagte Hörmann. Einen Plan B gibt es nicht. «Wir waren auf dieses Szenario bis zum heutigen Tag nicht vorbereitet.»

Erst die Pleite in München mit der Ablehnung von Winterspielen 2022, zwei Jahre später nun der Reinfall mit Hamburg. Olympische Spiele in Deutschland werden «für eine Generation lang kein Thema mehr sein», sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Clemens Prokop, dem Bayerischen Rundfunk stellvertretend für viele Funktionäre.

«Wir ziehen zwar über die Sotschis und Dohas dieser Welt her, sind aber nicht in der Lage, selbst Sportereignisse dieser Dimension auszurichten. Das ist die bittere Erkenntnis», sagte der Chef des Deutschen Handballbundes, Andreas Michelmann.

Das Referendum gleiche einem «Dolchstoß für die Entwicklung des Hochleistungs- und Breitensports unterhalb des Fußballs in Deutschland», sagte der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes, Thomas Krohne.

Mit Blick auf die deutsche Bewerbung um die Fußball-EM 2024 sagte sein Basketball-Kollege Ingo Weiss: «Das Perverse ist, dass ich überzeugt davon bin, dass, wenn wir über die Fußball-EM 2024 abgestimmt hätten, wir sicherlich ein positives Ergebnis bekommen hätten. Deutschland ist eben leider keine Sport-Nation, sondern eine Fußball-Nation.»

Beim IOC in Lausanne rief das Hamburger Nein kein echtes Erstaunen hervor. «Wenn man die Diskussionen in Deutschland in den letzten Wochen verfolgt hat, kommt dieses Ergebnis nicht ganz überraschend», teilte ein IOC-Sprecher mit.

Die Sportausschussvorsitzende des Deutschen Bundestags, Dagmar Freitag, nannte als Gründe für das Scheitern die «mittlerweile schwierige Situation für den Sport». Affären und Skandale wie bei der FIFA, dem DFB oder in der russischen Leichtathletik hätten «ein sehr schwieriges Licht auf den Sport» geworfen.

Auch in den Ländern der vier verbliebenen Bewerber Paris, Rom, Budapest und Los Angeles fand das Hamburger Votum Widerhall. Von einer «Schmach» für Hörmann sprach die französische Zeitung «Le Figaro». In Italien kommentierte «La Stampa»: «Rom verliert eine Rivalin für die Spiele 2024. Und es gibt da nichts zu feiern.»

Nicht nur für den deutschen Sport, sondern auch für Hamburgs rot-grünen Senat von Bürgermeister Olaf Scholz ist das unerwartete Nein ein Desaster. In der Hansestadt wagten sich am Montag die ersten Kritiker vorsichtig aus der Deckung. Die «gegen die Wand gefahrenen Verhandlungen mit dem Bund über die Olympiafinanzierung» seien Wasser auf die Mühlen der Gegner gewesen, kritisierte Oppositionsführer André Trepoll von der CDU. Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte, Scholz habe es nicht vermocht, den Hamburgern vor ihrer Entscheidung ein gesichertes Finanzkonzept mit klaren Zusagen des Bundes zu präsentieren.

dpa