EZB legt gegen Mini-Inflation nach: Geldflut und Strafzinsen

Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Foto: Frank Rumpenhorst
Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Foto: Frank Rumpenhorst

Die EZB flutet die Märkte bis mindestens März 2017 mit billigem Geld. Mit höheren Strafzinsen für Banken wollen die Währungshüter die Kreditvergabe zusätzlich ankurbeln. Kritiker bezweifeln, dass das funktioniert. Die Zeche zahlen die Sparer. Die Europäische Zentralbank (EZB) verschärft ihren Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche im Euroraum. Bis mindestens März 2017 will die Notenbank Staatsanleihen und andere Wertpapiere kaufen - ein halbes Jahr länger als bisher geplant.

Das beschloss der EZB-Rat in Frankfurt. Insgesamt pumpt die EZB auf diesem Weg damit 1,5 Billionen Euro in die Märkte.

Notfalls könnten die monatlichen Käufe im Volumen von 60 Milliarden Euro auch über März 2017 hinaus weiterlaufen, sollte die derzeit extrem niedrige Inflation sich bis dahin nicht in Richtung des EZB-Ziels von knapp unter 2,0 Prozent bewegt haben, sagte Notenbank-Präsident Mario Draghi: «Wenn es dann nicht reicht, können wir weitermachen.» Die Verlängerung des vor allem in Deutschland umstrittenen Programms, das seit diesem März läuft, wurde nach Draghis Angaben mit sehr großer Mehrheit im EZB-Rat beschlossen. Widerstand kam schon vor der Sitzung von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.

Mit der Maßnahme - im Fachjargon «quantitative Lockerung» (englisch: «Quantitative Easing»/«QE») - wollen die Währungshüter Konjunktur und Preisauftrieb anschieben. Bis zum 27. November erwarb die EZB in diesem Rahmen allein Staatsanleihen für 445,5 Milliarden Euro.

Das frische Geld kommt im Idealfall über Banken in Form von Krediten bei Unternehmen und Verbrauchern an. Doch das funktioniert bislang nicht im gewünschten Maß. Die Konjunktur im Euroraum erholt sich nur schleppend, die Inflation ist nach wie vor im Keller. Im November verharrte die Teuerung vor allem wegen gesunkener Energiepreise bei 0,1 Prozent. Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur, weil Investitionen in der Hoffnung auf weiter sinkende Preise möglicherweise aufgeschoben werden.

Mit höheren Strafzinsen für Banken versucht die EZB zusätzlich, die Kreditvergabe anzukurbeln. Statt 0,2 Prozent müssen Banken künftig 0,3 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei Notenbank parken.

Die EZB hat nach Einschätzung von DIW-Präsident Marcel Fratzscher ihren Spielraum noch nicht ausgeschöpft. «In den vergangenen Jahren hat die EZB die Märkte fast immer mit einer Geldpolitik überrascht, die expansiver war als erwartet», sagte der Chef des Berliner Instituts. Mit der Entscheidung lasse sich die Notenbank «genügend Raum, um ihre Geldpolitik in Zukunft nochmals deutlich ausweiten zu können».

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn rügte die EZB-Krisenpolitik als «übertrieben». Das laufende Anleihekaufprogramm habe «bereits gewaltige Dimensionen», sagte der Chef des Münchner Forschungsinstituts. «Noch mehr zu tun, ist angesichts der starken, bislang schon sichtbaren Effekte übertrieben. Es stärkt den Verdacht, dass es der EZB statt um Preisstabilität um die Rettung maroder Staaten und Banken geht.» Eine solche Linie seit aber «eine wirtschaftspolitische Zielsetzung, die nicht durch das Mandat der EZB gedeckt sei».

Ökonomen befürchten zudem, dass Banken den Strafzins auf ihre Kunden abwälzen. Auch höhere Bankgebühren gelten als mögliche Reaktion. Dadurch könnten Sparer noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden, die ohnehin unter den extrem niedrigen Zinsen zu leiden haben.

«Die erneute Lockerung der Geldpolitik ist geldpolitisch unnötig, verunsichert die Bürgerinnen und Bürger und ist schädlich für die Finanzstabilität», kritisierte BVR-Chefvolkswirt Andreas Bley. VÖB-Hauptgeschäftsführerin Liane Buchholz warnte vor steigenden Risiken für das Finanzsystem: «Der Gewöhnungseffekt an die Geldflut und den unnatürlichen negativen Zins fördert Fehlanreize.» BdB-Chef Michael Kemmer glaubt nicht, dass höhere Strafzinsen die Kreditvergabe ankurbeln werden, denn es mangele nicht an Liquidität.

Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon nannten die Entscheidungen vom Donnerstag «absolut unnötig und schädlich». Private Altersvorsorge werde weiter erschwert: «Es wäre besser gewesen, die volle Wirkungskraft der milliardenschweren Anleiheaufkäufe und sonstigen Sonderprogramme der EZB abzuwarten», kritisierte Fahrenschon. Ähnlich sieht das DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben: «Der Aktionismus der EZB ist übertrieben. ... Statt immer neuer Maßnahmen wäre Gelassenheit besser gewesen.»

Kritik kam auch von den Versicherern: «Die Europäische Zentralbank setzt ihr riskantes geldpolitisches Experiment fort, ohne Rücksicht auf gefährliche Konsequenzen», urteilte der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland. Verlierer seien die Sparer: «Steigen werden vor allem die Preise am Aktien- und Immobilienmarkt - zu Lasten der Ersparnisse von Gering- und Durchschnittsverdienern.»

Am Donnerstag reagierten die Finanzmärkte zunächst enttäuscht auf die EZB-Entscheidungen, Aktienkurse fielen, der Euro stieg kräftig. Viele Marktteilnehmer hatten auf noch weitergehende Schritte gehofft, zum Beispiel, dass die monatlichen Anleihenkäufe aufgestockt werden.

Der Leitzins im Euroraum verharrt unterdessen auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent. Damit bleibt Zentralbankgeld für Geschäftsbanken historisch günstig. Anders als in den USA sind steigende Zinsen im Euroraum absehbar nicht in Sicht. Das ist schlecht für Sparer, denn Tages- und Festgeld oder Sparbuch werfen damit weiterhin wenig ab.

Die Währungshüter selbst erwarten trotz ihrer massiven Geldschwemme nur einen minimalen Anstieg der Verbraucherpreise von 0,1 Prozent im laufenden Jahr. In den beiden Folgejahren dürften sich nach neuesten EZB-Prognosen die milliardenschweren Anleihenkäufe etwas stärker auf den Preisauftrieb auswirken. Demnach steigen die Verbraucherpreise 2016 um 1,0 (bisherige Prognose: 1,1) Prozent. Für 2017 sagen die Notenbanker nun eine Inflationsrate von 1,6 (1,7) Prozent voraus.

Das Wachstum im Euroraum dürfte aber etwas stärker ausfallen als bisher erwartet. Für das laufende Jahr erwarten die Währungshüter mit 1,5 (1,4) Prozent etwas mehr Wachstum, 2016 dann unverändert 1,7 Prozent, 2017 schließlich 1,9 (1,8) Prozent.

dpa