Jahrhundert-Entertainer Frank Sinatra wäre jetzt 100

Frank Sinatra im Jahr 1944. Foto: UPI
Frank Sinatra im Jahr 1944. Foto: UPI

Wenn er seinen ähnlich berühmten Nachbarn Bing Crosby und Joe DiMaggio zeigen wollte, dass bei ihm Cocktailstunde war, hisste er daheim in Palm Springs einfach eine Jack-Daniels-Flagge. Frank Sinatra wusste zu leben - aber was hat er mit Perestroika zu tun? Manche nennen ihn den größten Entertainer des Jahrhunderts. Des 20. Jahrhunderts allerdings, denn der Mann ist Geschichte: aus einer Zeit, als man im Smoking und mit Whiskeyglas in der Hand sang und Millionen Frauen nervös und Millionen Männer neidisch machte.

Als es okay war, auf der Bühne lässig eine Zigarette zu rauchen, im Publikum machte es ja auch jeder, und angeblich Verbindungen zur Mafia zu haben. Als es aber auch auf Stimme mehr ankam als auf dance moves. Das war die goldene Zeit von Hollywood, das war Vegas - und das war Frank Sinatra. Am 12. Dezember wäre der Mann, der (zumindest ein bisschen) auch etwas mit dem Zusammenbruch des Ostblocks zu tun hat, 100 Jahre alt geworden. Sinatra-Doktrin nannte man die Öffnung der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre, weil Moskaus Außenamtssprecher Gennadi Gerassimow gesagt hatte: «Sie kennen Frank Sinatra und sein Lied «I did it my way» (Ich machte es auf meine Art)? Nun, Polen und Ungarn machen es jetzt eben auf ihre Art.» Und der Song war nicht einmal der größte Hit des Mannes, der mehr als 150 Millionen Alben verkaufte. Sinatra war eine Legende, das fleischgewordene Showbusiness, wenn er mit dem Mikrofon in der Hand, das Kabel lässig hinter sich herziehend, die leuchtende Bühnentreppe hinabschritt. Er war «the Voice».

Und wie diese Stimme auch heute noch betörend klingt, das kann man auf der 4-CD-Edition «Ultimate Sinatra» (Universal Music) nacherleben, auf der 100 Songs von Sinatra versammelt wurden: Von «All Or Nothing At All» bis «My Way» gibt diese Gedenkausgabe mit einem umfangeichen Booklet einen schönen Überblick über eine einzigartige Karriere.

Wie alles anfing - das liefert die 4-CD-Collection «Frank Sinatra: A Voice On Air (1935- 1955)» (Legacy Recordings). Auch hier gibt es - vor allem seltene - 100 Songs, darunter sind 91 Live-Aufnahmen.

Sinatra war eine Zangengeburt. Bei dem schwierigen Eingriff platzte ein Trommelfell und das Neugeborene erlitt Verletzungen, die zeitlebens als Narben im Gesicht sichtbar bleiben sollten. Als Rowdy war er, obwohl immer auffallend schmächtig, von der Schule geflogen. Alles nicht die besten Voraussetzungen für eine Weltkarriere als Stimmwunder und Frauenschwarm.

Dennoch war er das schon in seiner Jugend, nachdem er als singender Kellner für 15 Dollar die Woche angefangen hatte oder einfach nur für eine warme Mahlzeit oder Zigaretten sang. Als er selbst Platten aufnahm, verkauften die sich erst schlecht, aber mit Bühnenauftritten wurde er die erste Ein-Mann-Boyband der Musikgeschichte. Tausende Teenager lagen ihm zu Füßen. Als 1944 nach einem ersten Konzert die Mädchen einfach nicht gehen wollten und deshalb die für das zweite Konzert von «Frankie» nicht reinkamen, brachen Tumulte aus, die als Columbus Day Riots in den New Yorker Geschichtsbüchern stehen.

Was war das Geheimnis des Italo-Amerikaners, der nicht so gut aussah wie Dean Martin und nicht das Charisma von Sammy Davis jr. hatte? Er hatte Stimme. Eine Stimme, die er trainierte, er, der Perfektionist, der sich nie zu schade war, zeitlebens zu lernen. Die blauen Augen von «Old Blue Eyes» taten ihr Übriges. Und Sinatra verstand es vor allem auch, sich selbst zu inszenieren. Der Junge aus Hoboken, New Jersey, war ein Star, als er längst noch kein Star war.

Was nicht heißt, dass es keine Täler gab. Nach der «Frankie»-Hysterie war Sinatra erst einmal abgemeldet. In den 1950ern wollte die Jugend Rock'n'Roll hören, auch wenn Sinatra die «erbärmliche, die Jugend zur Gewalt animierende Musik» nicht leiden konnte. Er blieb beim Jazz - und ging zum Film. Für die Nebenrolle im Pearl-Harbor-Drama «Verdammt in alle Ewigkeit» bekam er einen Oscar. Lange war er ein Megastar Hollywoods - auch wenn seine Rollen zwar immer einträglicher, aber immer flacher wurden.

Und dann war da noch Las Vegas. Neben Casinos gehören heute Shows zum Alltag in der Hotelstadt, ob Céline Dion, Siegfried und Roy oder die Blue Man Group. Mit Sinatra hatte alles angefangen. Er verkörperte den Lebensstil in der künstlichen Wüstenstadt mit allem Glamour und allen Kratzern darin. Was machte es schon, dass das organisierte Verbrechen angeblich den Gewinn abschöpfte?

Ach ja, die Mafia. Enge Verbindungen wurden ihm nachgesagt, die er immer wieder bestritt. Aber mit einigen der berüchtigtsten Mafiosi spielte er Golf oder Poker, trank mit ihnen Whiskey oder investierte mit ihnen in Casinos. In der Figur des Entertainers Johnny Fontane in Mario Puzos «Der Pate», der seine Karriere mit der Gewalt der Mafia wieder ankurbelt, ist leicht Sinatra zu erkennen. In seiner dicken FBI-Akte geht es um Morddrohungen gegen ihn und die Entführung seines Sohnes 1963, aber auch um anrüchige Verwicklungen des Stars.

Das kostete ihn auch, zum Teil, seine politischen Beziehungen. Er war den Demokraten zugewandt und die Kennedys umgaben sich gern mit dem Star. Als aber die Mafia-Gerüchte zunahmen, ließen sie ihn fallen. Später freundete sich Sinatra mit Ronald Reagan an und der Republikaner war ganz nach seiner Art: Erfolgreich, fleißig, perfektionistisch - und bei allem ein eitler Selbstdarsteller.

Und dann die Frauen. Viermal war Sinatra verheiratet, zumeist endete es mit tiefem Hass. Die Zahl der Affären des Frank Sinatra würden Bücher füllen, Filme sowieso. Bleibt nur zu sagen, was Marlene Dietrich über ihn dachte: «Frank Sinatra», sagte sie nach einer kurzen Affäre, «ist der Mercedes-Benz unter den Männern».

dpa