Mediziner fordern mehr Einsatz von Blutdrucksenkern

Die Behandlung mit Blutdrucksenkern vermindert offenbar das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich. Foto: Bernd Weißbrod
Die Behandlung mit Blutdrucksenkern vermindert offenbar das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich. Foto: Bernd Weißbrod

Könnten viel mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindert werden? Forscher halten die derzeitigen Blutdruck-Richtwerte für deutlich zu hoch - und fordern gar, Risikopatienten unabhängig von ihren Werten mit Blutdrucksenkern zu behandeln. Doch das ist umstritten. 

Blutdrucksenkende Medikamente sollten einer Studie zufolge bei allen Patienten mit hohem Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko eingesetzt werden - unabhängig von ihrem Blutdruck.

Der Grenzwert von 140 mmHg für die Behandlung mit Tabletten sei zu hoch, kritisieren Mediziner in der Fachzeitschrift «The Lancet». 

Sie haben 123 Studien von 1966 bis 2015 ausgewertet, an denen insgesamt mehr als 600 000 Probanden beteiligt waren. Einschränkend merken die Wissenschaftler unter anderem an, dass die Studien teils nur bedingt vergleichbar waren. Sehr skeptisch äußerte sich der Leiter des Hypertoniezentrums München, Prof. Martin Middeke, über die Meta-Analyse: «Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Die Behandlung des Blutdrucks ist immer eine individuelle Therapie.» So müssten etwa auch Vorerkrankungen beachtet werden. Medikamente zur Senkung des Blutdrucks könnten auch zu Nierenschäden führen, betonte er.

Die Behandlung mit Blutdrucksenkern vermindere das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich, schreiben Kazem Rahimi vom George Institute for Global Health an der britischen Universität Oxford und sein Team in «The Lancet». Werde der systolische Blutdruck um 10 mmHg gesenkt, verringere sich das Risiko für größere kardiovaskuläre Ereignisse um ein Fünftel, für Schlaganfälle und Herzversagen um ein Viertel und das Sterberisiko um 13 Prozent. Und zwar auch dann, wenn der Blutdruck der Patienten vor Beginn der Behandlung unter 130 mmHg gelegen habe.

«Die Ergebnisse sprechen sehr dafür, den systolischen Blutdruck auf unter 130 mmHg zu senken», zitiert das Fachmagazin den Studienleiter Rahimi. Zudem sollten alle Risikopatienten mit Blutdrucksenkern behandelt werden, egal, was der Grund für ihr erhöhtes Risiko sei. So könnten Millionen Leben gerettet werden. Derzeit liegt der Richtwert für die medikamentöse Behandlung bei etwa 140/90 mmHG - Patienten mit erhöhtem Blutdruck unter diesem Wert wird eher eine Änderung der Lebensweise nahegelegt wie zum Beispiel Sporttreiben und Abnehmen.

Laut «The Lancet» betrifft erhöhter Blutdruck mehr als eine Milliarde Menschen weltweit und ist die Ursache für 9,4 Millionen Todesfälle pro Jahr. In Deutschland hat nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) fast jeder dritte Erwachsene Bluthochdruck. Damit verbunden ist ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall, koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz, aber auch für chronische Niereninsuffizienz und Demenz.

Erst kürzlich hat die «Sprint»-Studie in den USA ergeben, dass zumindest für bestimmte Bluthochdruck-Patienten ein niedrigerer systolischer Zielwert von 120 mmHg günstiger ist als der bisherige von 140 mmHg. Patienten erhielten eine intensive Therapie mit einem systolischen Blutdruck von unter 120 mmHg als Ziel oder die Standardtherapie, die einen Wert von 140 mmHg zum Ziel hat.

Das im «New England Journal of Medicine» vorgestellte Ergebnis: gut ein Viertel weniger Todesfälle bei intensiver Therapie und ein Drittel weniger kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Koronarsyndrom, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz. Allerdings waren Diabetiker, Menschen, die bereits einen Schlaganfall hatten und solche mit symptomatischen Herzkrankheiten, Eiweißausscheidungen und sekundärer Hypertonie ausgeschlossen.

Zudem seien die Nebenwirkungen stark gewesen, sagte die Leiterin der Medizinischen Poliklinik der Berliner Charité, Yvonne Dörffel. Die intensiv therapierten Patienten seien häufiger ohnmächtig geworden, ihr Elektrolythaushalt sei öfter gestört gewesen, es habe mehr Fälle von Nierenversagen gegeben. «Das ist lebensgefährlich», erklärte die Medizinerin. Zudem bezweifelt sie, dass das Blutdruck-Ziel die entscheidende Größe in der «Sprint»-Studie gewesen sei. Vor allem die Zahlen für Herzschwäche hätten sich bei intensiver Therapie verbessert - und die Mehrzahl der verwendeten Medikamente seien genau solche, wie man sie auch bei Herzinsuffizienz verwendet.

dpa