Joseph Beuys: Fett, Filz und eine blutige Nase

Joseph Beuys starb vor 30 Jahren. Foto:  Dürrwald
Joseph Beuys starb vor 30 Jahren. Foto: Dürrwald

Auch 30 Jahre nach seinem Tod ist die Faszination von Joseph Beuys ungebrochen. Der charismatische Künstler mit dem Filzhut ist eine Ikone der Kunst. Er war ein Meister der Selbstinszenierung - und wirkt bis heute. Bräunliche Spuren zeichnen sich in fünf Meter Höhe in einer Ecke an der weißen Wand ab. Was wie Schimmel aussieht, wird im Dozentenzimmer der Düsseldorfer Kunstaka-demie von einer Glasscheibe geschützt.

 

Hier hing sie einst, die berühmte Fettecke von Joseph Beuys. Die ranzige Butter hatte sich in den Putz gefressen. Das Zimmer war einst das Atelier von Beuys. Nach seinem Tod 1986 entfernte ein Hausmeister die Fettecke - es war ein Skandal.

Beuys' Schüler und Freund, Johannes Stüttgen, bekam die abgekratzten Butterreste zugesprochen. Er hütete sie Jahrzehnte, bevor er das alte Fett jungen Künstlern vermachte, die Schnaps daraus brannten - was die Witwe von Beuys gar nicht gut fand. Aber Beuys hätte es sicher gefallen, denn schließlich hatte er den erweiterten Kunstbegriff in die Kunstgeschichte eingeführt. Joseph Beuys, der Meister von Fett und Filz, starb vor 30 Jahren, am 23. Januar 1986. Der Kunstprofessor, Anthroposoph und Mitbegründer der Grünen wurde 64 Jahre alt. Der Mythos Beuys ist bis heute ungebrochen. Davon zeugt auch die ehrfurchtsvoll eingerahmte «Hasenpfote» an der Wand im Dozentenzimmer, die Beuys zugesprochen wird. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um die Schmauchspur einer Kerze, weiß Stüttgen.

Monatelang habe damals ein Restaurator im Labor Versuche gemacht, um herauszufinden, warum die Fettecke nicht aus fünf Metern abrutschte, erzählt Stüttgen. Beuys hatte nur ihm das Geheimnis verraten: Die Fettecke lief konisch nach unten zusammen, so dass sie gegen die Wand gedrückt wurde. «Das ist schon fast gotische Architektur», sagt Stüttgen. «Das ist eben seine Meisterschaft, diese geheimnisvollen Geschichten.»

Dass der charismatische Künstler mit seinen provokanten Ideen die Menschen bis heute fasziniert, kann man im Internet unter dem Hashtag #beuysheute verfolgen. Da twittern Kulturblogger, Städte und Kunstfans, was ihnen zu dem Mann einfällt, der mit Filzhut, weißem Hemd und Anglerweste ein Meister der Selbstinszenierung war. Ein Beuys-Rapper ist dort zu sehen, ein Kohlrabi-Video, denn auch Kohlrabi-Schälen war für Beuys Kunst, und ein Nachbau der «Capri-Batterie» - eine an eine Zitrone angeschlossene Glühbirnenfassung.

Beuys wurde erst mit weit über 40 Jahren ein Kunststar. Es gibt zahllose Fotos des Künstlers, immer mit Filzhut und durchdringendem Blick. War er ein Selbstdarsteller? Nein, meint Stüttgen. «Er ist als Künstler gleichzeitig Bestandteil des Kunstwerks.»

Bettina Paust, Leiterin des Museums Moyland am Niederrhein, das mit rund 6000 frühen Zeichnungen den weltgrößten Bestand an Beuys-Arbeiten hütet, sagt: «Das macht den Umgang mit dem Werk von Beuys auch teilweise so schwierig. Auf der einen Seite soll es allgemeingültig sein, auf der anderen kreist es um die Künstlerpersönlichkeit Beuys.» Deshalb sei es auch nicht einfach, Beuys heutzutage im Museum zu präsentieren. «Es gibt Installationen, Zeichnungen, aber das Werk von Beuys macht die Person aus.»

Berühmt sind die Aktionen: Zum Beispiel wie Beuys, beklebt mit Blattgold, in einer Galerie, einem toten Hasen die Bilder erklärte. «Da entstanden sehr starke Bilder», sagt Paust. So auch bei dem Tumult in Aachen, als sich Beuys eine blutige Nase holte, ein Kruzifix aufblies und Schokolade verteilte.

Für Paust gibt es «keinen vergleichbaren Künstler». «Er hat die Kunst revolutioniert.» Arbeiten von Beuys befinden sich in den großen Museen der Welt und sind auf dem Kunstmarkt heiß begehrt. Dennoch, sagt Paust, «bleibt sein Werk für viele schwer zugänglich», seine Theorie der «Sozialen Plastik» sei trotz der Aktualität ökonomischer und ökologischer Fragen heute verblasst.

Spielt Beuys heute noch eine Rolle für die Kunststudenten? In den einstigen Klassenräumen 19 und 20 des Kunstprofessors arbeitet die 26-jährige Natalia Drabik. «Der Geist von Beuys weht hier noch.» Geheimnisvoll wie das Werk von Beuys ist auch die meterhohe Wandinstallation «State of Emergency» (Notstand) der jungen Künstlerin. Auf transparenten weißen Papieren finden sich unzählige feine Zeichnungen, manchmal sind es nur Striche, die auf dem Boden weiterlaufen. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man kleine Objekte aus Plastik oder Gips an der Wand: eine Nase oder ein Gummiring.

Kunststudent Thimo Franke (29) sagt über Beuys: «Es ist unmöglich, ihm zu entgehen, nicht nur an dieser Akademie, sondern generell.» Weder für Drabik noch für Franke ist Beuys ein direkter Bezugspunkt in ihrer Kunst. Aber dennoch sind sie auf eine gewisse Weise seine Erben - wie viele andere Künstler auch. Franke zum Beispiel erweitert den Kunstbegriff, indem er Bücher mit Moos, Gräsern und sogar Orchideen besiedelt. «Beuys ist das, was Little Richard für den Rock'n'Roll ist», sagt Franke. «Man hört ihn nicht mehr jeden Tag, aber er ist der Vater des Ganzen.»

dpa