Ungeduldig, ungeschickt, abkassiert: Die Free-to-Play-Tricks

Gruppenbild mit Helden: «Star Wars: The Old Republic» war zunächst ein klassisches Online-Rollenspiel mit monatlichen Gebühren, funktioniert inzwischen aber auch nach dem Free-to-play-Modell. Screenshot: Electronic Arts Foto: Electronic Arts
Gruppenbild mit Helden: «Star Wars: The Old Republic» war zunächst ein klassisches Online-Rollenspiel mit monatlichen Gebühren, funktioniert inzwischen aber auch nach dem Free-to-play-Modell. Screenshot: Electronic Arts Foto: Electronic Arts

«Sofort loslegen!»: Angebliche Gratis-Spiele gibt es im Netz wie Sand am Meer. Häufig verbirgt sich dahinter aber das Free-to-play-Prinzip. Wirklich kostenlos ist damit kaum etwas. Manchmal macht das trotzdem Spaß, oft nervt es aber. Eine winzige Unaufmerksamkeit kurz vor dem Endgegner - und schon liegt die Spielfigur am Boden. Spieleveteranen kennen dieses Gefühl von den Automaten der 80er Jahre. Und sie kennen auch die dazugehörige Aufforderung «Insert Coin» («Münze einwerfen»).

Denn selbst wenn im virtuellen Lebensbalken Ebbe herrschte, war ein Weiterspielen damals immer möglich - gegen Geld. 

Dieses Grundprinzip war lange ausgestorben, feiert aber seit einiger Zeit mit sogenannten Free-to-play-Spielen aber ein Comeback. Der Start ist gratis, dafür kostet später jede Kleinigkeit Geld - egal, ob es dabei um Gold, Diamanten und anderes Spielgeld, um neue Level, Tiere für den virtuellen Bauernhof oder Ausrüstung für digitale Helden geht. Von der Konsole bis zum Browser gibt es solche Titel überall, populär sind sie aber vor allem auf Smartphones und Tablets: Laut Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) haben Spieler auf mobilen Plattformen im ersten Halbjahr 2015 rund 153 Millionen Euro in sogenannte In-App-Käufe investiert. Für den Kauf von Spiele-Apps gaben sie dagegen nur 22 Millionen Euro aus.

«Das verändert natürlich das Design der Spiele», sagt Stephan Günzel, Professor für Game Design an der BTK Hochschule für Gestaltung in Berlin. «Denn die Entwickler, die das eigentliche Spiel entwerfen, müssen sich permanent mit den Experten für die Finanzierung absprechen.» Dieser Prozess nennen Fachleute Monetarisierung.

Dabei gibt es verschiedene Strategien. Aufbauspiele wie «Clash of Clans» verkaufen zum Beispiel besonders gerne Spielgeld und andere Ressourcen: Wer keine Lust hat, seine Siedlung nur langsam wachsen zu sehen, kann die Bauarbeiten dort etwa mit Diamanten beschleunigen - oder sich gleich die besten Kämpfer und Gebäude kaufen. Ein paar Diamanten gibt es zum Spielstart oft gratis, mehr nur gegen Geld.

Bestraft wird hier also der Ungeduldige. In Puzzle- und Rätselspielen wie «Candy Crush Saga» trifft es dagegen vor allem den Ungeschickten. Denn hier schaltet echtes Geld vor allem neue Leben und kleine Helfer frei. Wer alles ohne Hilfe und auf Anhieb schafft, muss theoretisch nichts zahlen. Praktisch führt das aber oft dazu, dass spätere Level ohne Unterstützung kaum lösbar sind. «Die Designer müssen da die Balance zwischen Frust und Spaß finden», erklärt Günzel das Problem.

Shooter und Rollenspiele aus der Free-to-play-Welt verkaufen vor allem Items. Mal erhält der Spieler damit echte Vorteile, kann also zum Beispiel Monster schneller besiegen, mal gibt es gegen Geld auch nur schickere Umhänge oder neue Frisuren. Vor allem in diesen Genres existieren Free-to-Play-Spiele inzwischen auch abseits von Smartphone und Tablet: Selbst sehr umfangreiche PC- und Konsolentitel wie «Star Wars: The Old Republic» oder der Shooter «Warframe» bieten inzwischen die Mischung aus Gratisstart und Item-Kauf.

Ob solche Spiele auch ganz ohne Geld Spaß machen, kommt ganz auf den Titel an. «Das hängt immer ein bisschen davon ab, wie sich der Designer gegen die BWLer im Unternehmen durchsetzt», sagt Günzel. Hilfestellung auf der Suche nach fairen Free-to-play-Titeln geben die Bewertungen im App Store, bei Google Play oder Steam. Inzwischen kann man dort sogar richtige In-App-Kauf-Preislisten der Titel einsehen.

Aus den Kommentaren erfahren Spieler zum Beispiel, welche Titel besonders penetrant für ihre Kaufoptionen werben, etwa mit blinkenden Buttons und ständig aufpoppenden Fenstern. Besonders unbeliebt unter Spielern ist auch das sogenannte Pay-to-win-Prinzip, also wenn Zahler im Mehrspielermodus klare Vorteile gegenüber Gratiszockern haben.

Und andere Titel verkaufen gar keine Gegenstände, sondern nur sogenannte Mystery-Boxen. Was der Spieler genau für sein Geld bekommt, weiß er vorher nicht. Überschreiten Free-to-play-Titel so die Grenze zum Glücksspiel? «Ich würde die Mechanismen von Free-to-play-Spielen nicht mit Glücksspiel oder Spielautomaten gleichsetzen», sagt Michael Dreier vom Fachverband Medienabhängigkeit an der Medizinischen Hochschule Hannover. «Es gibt jedoch Überschneidungen.»

Deshalb hält Dreier solche Spiele auch nicht für völlig ungefährlich: «Die Suchtgefahr ist bei Free-to-play-Spielen deutlich höher als bei anderen Computerspielen», sagt er. Problematisch sei dabei vor allem, dass sich Probleme in solchen Spielen immer mit Geld lösen lassen. Geschick, Geduld und andere Spielertugenden sind zweitrangig. «Personen die nicht gut mit unbefriedigenden Situationen umgehen können, springen darauf besonders an», so der Experte.

 

Free-to-play und Kinder

Die Gefahren des Free-to-play-Prinzips betreffen ebenso Kinder - auch wenn Experten bei ihnen nicht so schnell von Sucht sprechen: «Ein abhängiges Verhalten kann es in dem Alter jedoch schon geben», sagt Michael Dreier vom Fachverband Medienabhängigkeit. «Kinder und Jugendliche mit schlechter Selbstregulation sind hier besonders vulnerabel.» Trotzdem sprechen viele Free-to-play-Titel gezielt Jüngere an, zum Beispiel mit virtuellen Ponyhöfen.

«Das wird dann natürlich schnell problematisch», sagt Game-Design-Professor Stephan Günzel. «Kinder lassen sich vielleicht schneller zum Kauf verführen oder durchschauen oft nicht so ganz, was sie da anklicken.» Um den Nachwuchs und das Konto davor zu schützen, können Eltern die In-App-Käufe bei iOS und Android inzwischen gezielt sperren oder mit einem Passwort schützen. Auf PC und Konsole lassen sich mit Bordmitteln jedoch nur ganze Spiele und Webseiten sperren. Wer nur verhindern will, dass Kinder Geld ausgeben, muss dort seine Kreditkartennummer und Zugangsdaten für Zahlungsdienste entfernen.

dpa