Heinz Rudolf Kunze: Zeitreise und Bestandsaufnahme

Heinz Rudolf Kunze engagiert sich für Flüchtlinge. Foto: Holger Hollemann
Heinz Rudolf Kunze engagiert sich für Flüchtlinge. Foto: Holger Hollemann

Mit «Dein ist mein ganzes Herz» landete Heinz Rudolf Kunze 1985 seinen ersten großen Hit. Mehr als 30 Jahre später schreibt der Rockpoet aus der Nähe von Hannover weiter fleißig Songs - und mischt sich politisch ein. Heinz Rudolf Kunze zitiert den französischen Philosophen Blaise Pascal, aber er kennt keinen Titel von Mark Forster. Was aktuell im Radio läuft, interessiert den 59 Jahre alten Sänger und Schriftsteller weniger. Heinz Rudolf Kunze macht sein eigenes Ding - seit 35 Jahren im Musikgeschäft.

Inspiration findet er in der riesigen Bibliothek und CD-Sammlung seines Hauses in der Wedemark bei Hannover. Dort bringt der Zigarillos rauchende Musiker mit der markanten Brille täglich neue Lieder zu Papier. Jetzt ist sein 35. Album mit dem programmatischen Titel «Deutschland» erschienen. Kunze verbindet darin persönliche Erlebnisse mit politischen Analysen. «Deutschland» ist eine Reise in die eigene Kindheit und zugleich eine Bestandsaufnahme der Bundesrepublik in Zeiten von Flüchtlingskrise und weltweiter Bedrohung durch Terroristen. «Deutschland, gemütlich lässt du's krachen, weil deine Waffen und dein Geld Weltbrände mitentfachen», heißt es im Titelsong.

«Es gibt im Moment viel Grund zur Sorge, weil die Menschen das Gefühl haben, dass die regierenden demokratischen Parteien ihnen keine Antworten geben», sagt Kunze. «Ich glaube, dass die meisten dieser Menschen irritiert, verängstigt und wütend sind, und dass man sie zurückholen kann.» Das «Wir schaffen das!» von Kanzlerin Angela Merkel hält er zwar für humanistisch. «Aber sie hätte vielleicht besser sagen sollen: 'Gucken wir mal, wie viel wir schaffen.'»

Der Song «Jeder bete für sich allein» ist ein Plädoyer für die Privatisierung von Religion. Sieht Kunze die Religion als Wurzel allen Übels, als Auslöser von Terrorismus und Krieg? «Nein, so dumm bin ich auch nicht, ich weiß, dass Religion oft nur ein Deckmäntelchen für materielle Interessen, Macht und Geld ist», sagt der Sänger. Aber wenn es möglich wäre, Religion nur in den eigenen vier Wänden stattfinden zu lassen, würde man dem Fanatismus eine Menge Dampf nehmen, meint er.

Neben den politischen Utopien gibt es viele private Momente auf dem Album, das Blues, Funk und Pop verbindet. So erinnert sich der Musiker in einem Lied an die Ortschaft Alte Piccardie an der niederländischen Grenze, in der er als kleiner Junge lebte. Kunze kam 1956 als Flüchtlingskind in einem Barackenlager in Espelkamp bei Minden zur Welt und ging später in Osnabrück zur Schule. Die Straße, in der seine Familie lebte, ähnelte der Straße auf dem Cover seines neuen Albums, erzählt der Musiker: «Ein bisschen spießig, ein bisschen heimelig, ein bisschen Geborgenheit, ein bisschen Enge.»

Im Sommer hat Kunze die Aktion «Musik hilft» gestartet und seitdem rund 650 Instrumente für Flüchtlinge gesammelt. «Ich hatte mir überlegt, was man machen kann, damit die Menschen in den Lagern nicht so eine quälende Langeweile leiden, während sie auf ihre ungewisse Zukunft warten», sagt er. «Wenn ich mich an das Schicksal meiner Eltern erinnere, war es schon schwierig genug für die deutschen Vertriebenen. Sie wurden auch nicht überall mit offenen Armen empfangen. Für Menschen aus Nordafrika oder Syrien, die aus einer völlig anderen Welt kommen, muss es noch schwieriger sein.»

dpa