Woche der Wahrheit für FIFA: neuer Chef und Reformen

Für die FIFA wird es eine entscheidende Woche. Foto: Walter Bieri
Für die FIFA wird es eine entscheidende Woche. Foto: Walter Bieri

273 Tage nach der von Festnahmen und Skandalen überschatteten Wahl von Joseph Blatter kürt die FIFA wieder einen Präsidenten. Erstmals gibt es fünf Kandidaten. Die Abstimmung am Freitag im Zürcher Hallenstadion ist der Höhepunkt einer spannenden Funktionärswoche. Die in ihren Grundfesten erschütterte FIFA steht vor ihrer vielleicht wichtigsten Woche seit ihrer Gründung im Jahr 1904. Nach Monaten der Korruptionsskandale will der Fußball-Weltverband mit der Kür eines Nachfolgers von Joseph Blatter wieder an einem seriösen Image arbeiten.

 

Ob dies gelingt, hängt aber nicht nur vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen ab. Auch die Abstimmung über das Reformpaket hat wegweisenden Charakter.

Wer ist Favorit auf die Nachfolge von FIFA-Präsident Joseph Blatter? 

Scheich Salman bin Ibrahim al Chalifa aus Bahrain werden die besten Chancen zugerechnet. Kann der Chef der asiatischen Fußball-Konföderation die Stimmen aus Afrika und Asien auf sich vereinen, dürfte er kaum zu schlagen sein - trotz aller Vorwürfe über seine Rolle bei Menschenrechtsverletzungen gegen Fußballer in seinem Heimatland 2011.

Gianni Infantino trommelt mächtig. Der UEFA-Generalsekretär ist aber nicht Top-Favorit. Hartnäckig halten sich Gerüchte über einen Deal zwischen al Chalifa und Infantino. Sollte der Schweizer auf eine Kampfabstimmung verzichten, könnte er unter dem Scheich FIFA-Generalsekretär werden - besonders Infantino dementiert dies.

Welche Rolle spielen die anderen Kandidaten?

Prinz Ali bin al-Hussein könnte zum Königsmacher werden, wenn er Scheich Salman asiatische Stimmen abluchst. Siegchancen hat der 2015 von den Europäern noch unterstützte Jordanier aber nicht. Reine Zählkandidaten sind Jérôme Champagne (Frankreich) und Tokyo Sexwale (Südafrika). Nicht auszuschließen, dass sie zur Wahl der 209 FIFA-Mitgliedsverbände wegen Chancenlosigkeit gar nicht erst antreten.

Wo steht der deutsche Fußball im internationalen Ränkespiel der Funktionäre?

Der deutsche Fußball hat durch die Affäre um das Sommermärchen viel an Reputation verloren. Dabei spielt auch Schadenfreude eine Rolle. Lange gerierte sich Wolfgang Niersbach als Moralapostel und Top-Reformer. Nun ist er in der FIFA- und UEFA-Exekutive zum Mitläufer degradiert. Die DFB-Interimschefs Reinhard Rauball und vor allem Rainer Koch sind international geachtet, aber noch nicht perfekt vernetzt. Ein anderer deutscher spielt beim Kongress aber eine Hauptrolle. FIFA-Interimsgeneralsekretär Markus Kattner, lange für die Finanzen des Weltverbandes zuständig, wird satzungsgemäß durch die Veranstaltung führen.

Was verbirgt sich hinter den FIFA-Reformen?

Eine Kommission beschäftigte sich fast ein halbes Jahr mit Reformvorschlägen. Letztlich werden die Vorschläge aber mehr dem Chef der FIFA-Audit-Kommission Domenico Scala zugeschrieben als der Reformkommission, in der auch wenig demokratieerprobte Mitglieder der alten FIFA-Exekutive saßen.

Im Kern geht es darum, dass der Präsident künftig eher repräsentiert als regiert. Die Exekutive wird zu einem Council, das wie ein Aufsichtsrat wirken soll. Die Amtszeiten für beide Gremien werden auf drei mal vier Jahre beschränkt. Mehr Macht bekommen der Generalsekretär und die Ständigen Ausschüsse. Alle wichtigen Ämter können nur nach einer externen Integritätsprüfung ausgeübt werden.

Ähnliche Reformen standen schon 2014 zur Abstimmung und scheiterten damals im FIFA-Kongress. Auch diesmal ist eine Dreiviertel-Mehrheit notwendig. Scheitert das Paket, steht die FIFA vor einer Zerreißprobe.

Wird die FIFA wirklich demokratischer?

Von Anti-Korruptionsexperten werden die Vorschläge dezent gelobt. Aber: Entscheidend wird sein, wie die Reformen gelebt werden. Auch jetzt ist eine Dauerherrschaft von Einzelpersonen über mehrere Jahrzehnte möglich - wenn auch nicht in der extremen Ausprägung wie unter Blatter, der mehr als 40 Jahre das nun kollabierte System (mit)prägte. Hinterfragt werden muss auch, wie gründlich die Council-Mitglieder den mächtigen Generalsekretär kontrollieren werden und wer die Council-Mitglieder kontrolliert, die wie bislang auch von ihren Konföderationen entsandt werden.

Warum veranstaltet die UEFA am Donnerstag auch einen Kongress?

Als sich die Sperre für UEFA-Boss Michel Platini abzeichnete, beschloss die Exekutive des Kontinentalverbandes, ihren Kongress im März in Budapest auf Mai zu verschieben. Bei einem außerordentlichen Treffen an diesem Donnerstag sollten die formalen Voraussetzungen geschaffen werden, um dann einen neuen Chef wählen zu können. Das wäre wegen der Fristen bis März nicht möglich gewesen.

Nun liegt die Präsidentschaftswahl aber auf Eis, bis Platini seine Sperre in allen Instanzen angefochten hat. Das Treffen in Zürich dient nur noch der Präsentation von Finanzberichten und weiteren Statutenfragen. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass Generalsekretär Infantino die UEFA-Wahl so lange wie möglich hinauszögern will, um sich in der Zwischenzeit als De-Facto-Präsident profilieren zu können, sollte er bei der FIFA-Wahl leer ausgehen.

Was macht die Justiz und ist wieder mit Polizeirazzien zu rechnen?

Die Festnahmen im Morgengrauen im Luxushotel Baur au Lac im Mai und Dezember waren filmreif. Längst wird gemunkelt, dass die Polizei in dieser Woche wieder aktiv werden könnte, entweder mit Befragungen oder der Einleitung von Ermittlungsverfahren. Dabei geht es nicht wie von Blatter einst unterstellt um Revanchegelüste der Justiz. Die Gründe sind pragmatisch: Bis zum nächsten regulären FIFA-Wahlkongress im Jahr 2019 werden nie wieder alle Repräsentanten der 209 Mitgliedsländer zeitgleich in Zürich sein.

dpa