EU-Türkei-Gipfel in der Flüchtlingskrise

«Wir können die Türen nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen.» Damit soll der türkische Präsident Erdogan beim letzten EU-Türkei-Gipfel gedroht haben. EU-Kommissionschef Juncker schaut da lieber freundlich in die Kamera. Foto: Olivier Hoslet/Arc
«Wir können die Türen nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen.» Damit soll der türkische Präsident Erdogan beim letzten EU-Türkei-Gipfel gedroht haben. EU-Kommissionschef Juncker schaut da lieber freundlich in die Kamera. Foto: Olivier Hoslet/Arc

Istanbul/Athen (dpa) - Vor den Kameras beteuern Vertreter der EU und der Türkei ihren Willen zur Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise. Wie es ohne Kameras zugehen kann, darüber vermittelt das Protokoll eines Treffens des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit den EU-Spitzen einen Eindruck. In dem Papier, das eine griechische Webseite veröffentlicht und dessen Echtheit Erdogan bestätigt hat, wirkt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wie ein Bittsteller - der von Erdogan rüde abgekanzelt wird. Erdogan drohte bei dem Gespräch vor dem ersten EU-Türkei-Gipfel Ende November:

«Wir können die Türen nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen.»

 

Gut drei Monate später steht am Montag der zweite EU-Türkei-Gipfel in der Flüchtlingskrise an - und eine Lösung ist immer noch nicht in Sicht. Unbestritten ist, dass eine solche Lösung kaum denkbar ist, wenn die politische Führung in Ankara nicht kooperiert: Die Türkei bleibt das wichtigste Transitland für Flüchtlinge in die EU und hat inzwischen selbst mehr als 2,5 Millionen Syrer aufgenommen.

 

Zwar hat Erdogan die Türen nach Europa entgegen seiner Drohung bislang nicht geöffnet. Geschlossen hat er sie aber auch nicht. Der Flüchtlingszustrom aus der Türkei in die EU wurde nicht gebremst, im Gegenteil: Im vergangenen Monat setzten nach UN-Angaben 55 222 Flüchtlinge von der türkischen Küste zu den griechischen Ägäis-Inseln über - fast zwanzig Mal mehr als im Februar des vergangenen Jahres.

 

Zwar hat die Türkei mit der Umsetzung einzelner Punkte des Aktionsplans begonnen, der beim November-Gipfel mit der EU beschlossen wurde. Entschärft hat das die Krise aber nicht. Allerdings hat auch die zerstrittene EU bislang kaum etwas geliefert. Von einer Entlastung der Türkei kann keine Rede sein.

 

Stattdessen fordert Brüssel von Ankara, weiterhin Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, diese aber nicht weiterreisen zu lassen. «Nichts für ungut, aber auf unserer Stirn steht nicht «Dummkopf» geschrieben», polterte Erdogan kürzlich. Zugleich machte er klar, dass die Türkei Flüchtlinge nicht zum Verbleib im Land zwingen wird.

 

Zwar wurde beim Gipfel im November beschlossen, die festgefahrenen Verhandlungen mit dem Dauer-Beitrittskandidaten Türkei wieder in Fahrt zu bringen. Eine Mitgliedschaft steht aber in den Sternen. Und neuer Zwist droht im Herbst: Die EU hat den Türken im Gegenzug für ein Entgegenkommen in der Flüchtlingskrise Visa-Erleichterungen für Reisen in den Schengen-Raum von Oktober an in Aussicht gestellt. Die Regierung in Ankara hat das aber als Zusage für visafreies Reisen interpretiert (und der Bevölkerung auch so vermittelt).

 

Auch von den drei Milliarden Euro, die die EU der Türkei zugesagt hat, ist noch kein Geld an die Regierung überwiesen worden. «Ohne Anreize wird Erdogan den Flüchtlingszustrom nicht stoppen», sagt ein europäischer Diplomat, der ungenannt bleiben will. «Und drei Milliarden Euro sind kein Anreiz, sondern eine Anzahlung. Das sind ganz andere Summen, die wir jährlich zahlen müssten.» Der Diplomat fügt hinzu: «Erdogan schenkt uns das doch nicht. Der schenkt uns gar nichts.»

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel bemüht sich angesichts des wachsenden Drucks zu Hause mit großem Engagement um die Kooperation der Türkei. Vor einem Monat kam sie in Ankara wieder mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und mit Erdogan zusammen. Sie einigten sich unter anderem darauf, die Nato einzuschalten. Der Einsatz in der Ägäis ist zwar beschlossen, die Modalitäten werden aber immer noch verhandelt.

 

Griechenland ist zwar selbst an dem Einsatz beteiligt, verbindet mit der Operation aber keine großen Hoffnungen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, jetzt werde auch das Bündnis sehen, was sich in der Ägäis seit Jahren abspielt: Wie täglich Dutzende Schlauchboote selbst bei schlechtem Wetter von der Türkei aus nach Lesbos, Chios oder Samos kämen. Zweifel hat Athen auch daran, ob die Türkei - wie vereinbart - tatsächlich Flüchtlinge zurücknimmt, die Nato-Schiffe aus Seenot bergen. «Das möchte ich sehen», sagte ein Offizier der Küstenwache.

 

Griechenland hat bereits 2002 ein Rücknahmeabkommen mit der Türkei abgeschlossen. Ein solches Abkommen, das die Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten verpflichtet, möchte auch die EU im Juni in Kraft treten lassen. Die widersprüchlichen Angaben aus Athen und Ankara zur Umsetzung des bilateralen Vertrages lassen ahnen, wie schwierig das Verhältnis zwischen den Nachbarn ist. Athen gibt an, die Türkei nehme nur 1,5 Prozent der Migranten zurück. Aus Ankara heißt es dagegen, man habe einer Rücknahme in 20 000 Fällen zugestimmt - Griechenland habe aber nur 4000 Menschen geschickt.

 

Ärger zwischen den Nachbarn in der Ägäis, ein als schwierig empfundener Partner Türkei, eine zerstrittene EU - die Aussichten in der Flüchtlingskrise stimmen nicht hoffnungsvoll. Rund zwei Wochen vor dem nun anstehenden EU-Gipfel äußerte sich auch Erdogan - der die Flüchtlingspolitik des Westens immer wieder heftig kritisiert - alles andere als optimistisch. Das türkische Staatsoberhaupt sagte: «Egal wie grob, wie gnadenlos, wie gewissenlos die westlichen Länder sich verhalten, sie haben keine Chance, diesen Strom unter Kontrolle zu halten.» (DPA)