Mainzer Start-up: Online-Plattform für Kleidertausch

Die Mit-Betreiberin von Darpdecade, Kim Gerlach (l), wiegt die ausgewählten Kleidungsstücke ihrer Kunden. Foto: Andreas Arnold
Die Mit-Betreiberin von Darpdecade, Kim Gerlach (l), wiegt die ausgewählten Kleidungsstücke ihrer Kunden. Foto: Andreas Arnold

Vorbild ist die Dating-App Tinder: So wie sich dort Partner fürs Flirten finden lassen, will das Unternehmen Darpdecade den Tausch von Kleidern organisieren. Der Firmengründer ist überzeugt, dass Mainz das richtige Pflaster für innovative Geschäftsideen ist. Ein Glas Gin Tonic und einen Schal gegen eine Jacke - mit diesem Tauschgeschäft begann vor fünf Jahren die Geschichte der Mainzer Start-up-Firma Darpdecade. Damals war ihr Gründer Robin Balser gerade zu einem Praktikum in der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Die Jacke trug ein junger Mann auf einem Flohmarkt. «Ich wollte sie unbedingt haben, hatte aber kein Geld mehr dabei und nur mein Glas Gin in der Hand», erinnert sich Balser. So kam der ungewöhnliche Tausch zustande. «Da habe ich darüber nachgedacht, wie es wäre, nur noch Kleider zu tauschen statt zu kaufen.»

Balser hat ein Gegenmodell entwickelt zu dem von Konsumforschern als «Fast Fashion» bezeichneten Trend: Jugendliche wollen mit ihrer Kleidung etwas über sich aussagen, und vor allem wollen sie aktuell sein. So geben sie einen großen Teil ihres Gelds für Kleidung aus, sind Stammkunden in den Häusern der großen Modeketten. «Fast Fashion» verlangt nach einem schnellen Produktwechsel und nach niedrigen Preisen. Zu negativen Begleiterscheinungen gehört die Ausbeutung von Beschäftigten der Textilindustrie in Herstellerländern wie Bangladesch oder Kambodscha.

«Ja, ich bin modebewusst und möchte gern mal was Neues, will aber auch raus aus dem Kreislauf von Wegwerfen und neu Kaufen», sagt die 27-jährige Studentin Marie. Sie hat sich auf einem Darpdecade-Markt für gebrauchte Vintage-Kleidung in Offenbach gerade einen dicken Norweger-Pulli aus reiner Schurwolle ausgesucht. Eine solche Flohmarkt-Party mit Secondhand-Kleidung zum Kilopreis hat Darpdecade bislang fünf Mal organisiert, darunter in Mainz, Hamburg und Köln. «Vinokilo» nennen die Veranstalter die Wochenend-Aktionen, weil es dort auch Wein gibt.

Die Flohmarkt-Party sei nur ein erster Schritt, erklärt Firmengründer Balser. Zwei bis drei Monate danach gibt es eine Tausch-Party, wo die neu erworbene Kleidung ein weiteres Mal ihre Besitzer wechselt. Dritter Schritt ist eine App, die so funktioniert wie Tinder: So wie dort mit einem Fingerwisch die Profile von Menschen für einen möglichen Chat-Kontakt vorgemerkt oder aussortiert werden, so sollen in der Darpdecade-App Klamotten angeboten und Tauschpartner gefunden werden. Auf der Plattform zeigen sie ihren virtuellen Kleiderschrank und bieten ihre Stücke zum Tausch an. Wie bei Tinder sollen Nutzer zusammengeführt werden, die im gleichen Umkreis von wenigen Kilometern leben.

«Das kann durchaus funktionieren», sagt Matthias Rohrer, Studienleiter beim Institut für Jugendkulturforschung in Wien. Vor allem bei jungen Frauen mit höherem Bildungsgrad gebe es ein verstärktes Bewusstsein für einen ethisch korrekten Konsum und den Trend zur Wiederverwertbarkeit von Dingen.

Auch Verena Muntschick vom Zukunftsinstitut in Frankfurt sieht eine zunehmende Bereitschaft, Kleidung von anderen zu tragen und Kleidung zu tauschen. Secondhand-Geschäfte für Kleidung seien schon lange etabliert. Moderne Kleidertauschbörsen im Netz erlebten gerade einen Boom, und der nächste Schritt sei das Konzept der Sharing Economy für Kleidung mit einem Abo-Modell. «Per Sharing und Swapping können viele Menschen an einem «luxuriösen Kleidungsstil» partizipieren, ohne das eigentlich notwendige Geld dafür ausgeben zu müssen.»

«Der Prototyp steht», sagt Balser zur Entwicklung der Smartphone-App. Auch sei ein erster Test gut gelaufen, erklärt der 26-Jährige. Allerdings sind gute Entwickler teuer, und für den Start der Plattform fehlt noch das Kapital. Das will Darpdecade bei der Community einsammeln: Eine Crowdfunding-Aktion soll im September oder Oktober starten.

Nach dem Schulbesuch in Mainz hat Balser in London, Kalifornien und den Niederlanden studiert, unter anderem internationales Management und Theater. Oft fließen englische Begriffe ein, wenn er von seinen Plänen spricht: «Wir möchten jungen Leuten von 22 bis 35 eine neue Experience geben.»

Zu diesen Erfahrung kann auch die Geschichte gehören, die von einem Kleidungsstück erzählt wird: «Die Kleider erzählen eine Never Ending Story», sagt Kim Gerlach, die zusammen mit Balser und Dominik Breu das Darpdecade-Trio bildet. «Auf der Tauschparty haben die Kleidungsstücke Story Tags statt Preisschilder, mit einer eigenen Geschichte und Emotionen, die damit verbunden sind.»

Anders als Musik und Bücher lässt sich Kleidung nicht digitalisieren - der Kleiderschrank ist eine Bastion der analogen Welt. Darpdecade will die digitalen Möglichkeiten aber nutzen, um Menschen zum Kleidertausch zusammenzubringen. Das eigene Geschäftsmodell ist noch offen. Balser kann sich ein in anderen Branchen schon übliches «Freemium»-Modell vorstellen, wo die kostenlose Nutzung mit Werbung finanziert wird, während Abo-Kunden frei von Werbung bleiben und vielleicht zusätzliche Funktionen nutzen können.

Mainz statt Berlin - kann das für Existenzgründer funktionieren? «Nach Berlin gehen alle», antwortet Balser, «da wäre ich ein kleiner Fisch im großen Teich.» In Mainz gebe es ein gutes Umfeld für junge Firmen. Er hoffe für die nächsten Schritte auf die Unterstützung der Investitions- und Strukturbank (ISB) des Landes oder auch der Stadt. «Es hat seine Vorteile, als Meenzer Bub ein Start-up zu gründen.»

dpa