BKA: Milliardenschwerer Pflege-Betrug

Eine junge Frau hält in einem Pflegeheim die Hand einer Seniorin. Foto: Jens Kalaene/Illustration
Eine junge Frau hält in einem Pflegeheim die Hand einer Seniorin. Foto: Jens Kalaene/Illustration

Russische Pflegedienste betrügen die deutschen Sozialkassen nach Einschätzung des Bundeskriminalamts (BKA) in Milliardenhöhe. Das BKA habe inzwischen auch Hinweise auf Strukturen organisierter Kriminalität in diesem Bereich, berichteten die «Welt am Sonntag» und der Bayerische Rundfunk (BR). Den Sozialkassen und damit auch den Beitragszahlern entstehe durch betrügerische Abrechnungen ein jährlicher Schaden von mindestens einer Milliarde Euro. Regionale Schwerpunkte gibt es den Berichten zufolge in Berlin, Niedersachsen und Bayern.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangte schärfere Kontrollen von Pflege-Wohngemeinschaften und Pflegeheimen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, forderte eine lückenlose Aufklärung und konsequente Bestrafung der an dem Betrug Beteiligten.

 

Der Staat scheint hier in einer gewissen Zwickmühle. Einerseits braucht er wegen des hiesigen Fachkräftemangels in der Pflege Personal gerade aus Osteuropa. Andererseits lädt er damit offenbar auch solche Strukturen organisierter Kriminalität ein, wenn er nicht ausreichend kontrolliert. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte denn auch: «Die meisten Länder haben die Aufsicht auf ein Minimum zurückgefahren.»

 

Ein BKA-Sprecher bestätigte: «Das Phänomen des Abrechnungsbetrugs mit Pflegediensten von Staatsangehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion ist dem BKA bekannt. Wir beobachten es gemeinsam mit den Bundesländern sehr sorgfältig.» Insbesondere den kommunalen Sozialhilfeträgern sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen entstünden beträchtliche finanzielle Schäden, berichtete das Recherche-Team der Zeitung und des Rundfunksenders mit Bezug auf einen vertraulichen Bericht des BKA.

 

In Einzelfällen gebe es Informationen, wonach «die Investition in russische, ambulante Pflegedienste ein Geschäftsfeld russisch-eurasischer organisierter Kriminalität ist», heißt es dort weiter. Die Betrugsformen seien vielfältig. So rechneten Pflegedienste zum Beispiel systematisch mit gefälschten Pflege-Protokollen nicht erbrachte Leistungen ab. Teilweise seien Patienten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in den Betrug verwickelt. In diesen Fällen teilten sich Patient und Pflegedienst den Erlös.

 

Die osteuropäischen Banden verlagerten ihr Geschäft auch auf lukrative Intensivpflegepatienten. Damit zweigten sie bis zu 15 000 Euro pro Patient und Monat aus den Sozialsystemen ab, berichten die beiden Medien weiter.

 

Brysch verlangte endlich Schwerpunktstaatsanwaltschaften in den Bundesländern, die sich speziell um solche Betrugsfälle kümmerten. «Bund und Länder müssen alarmiert sein, wenn sich die organisierte Kriminalität in der Pflege ausbreitet.» Er fügte hinzu: «Erschreckend ist, dass jetzt Pflege in einem Zusammenhang mit Prostitution und Drogenhandel genannt wird.»

 

Christine Lambrecht erläuterte, durch den hier offenbar zu Tage tretenden Betrug seien den sozialen Kranken- und Pflegekassen erhebliche Einbußen entstanden. «Das ist ein ungeheuerlicher Skandal. (...) Sich auf Kosten unseres Sozialstaates und damit auf Kosten der Beitragszahler zu bereichern, ist widerlich.» (DPA)