Reinheitsgebot: Viele Bierkreationen nicht erlaubt

Phillip Roberts kreiert sein Bier zu Hause. Dabei verwendet er auch getrocknete Kaffeekirschen-Schalen (sog. Cascara). Foto: Monika Skolimowska
Phillip Roberts kreiert sein Bier zu Hause. Dabei verwendet er auch getrocknete Kaffeekirschen-Schalen (sog. Cascara). Foto: Monika Skolimowska

«Der entscheidende Unterschied entsteht beim Kochen», sagt Phillip Roberts. Er steht in seiner eigenen Küche, dem Ort, an dem alles begann. In seinem Kochtopf sind bereits Wasser, Hopfen und Malz gelandet, die drei Grundzutaten für ein Bier. Für Roberts nicht genug: Bei diesem Schritt des Brauens experimentiert er mal mit Rhabarber, mal fügt er Kräuter oder Kaffee hinzu. Der Düsseldorfer gehört zu einer kleinen Brauerszene, die in Deutschland eigentlich gar nicht auftauchen darf. Deshalb lässt er sein Bier im Nachbarland Belgien herstellen.

 

Denn in Deutschland werden die Regeln des Reinheitsgebots noch immer hochgehalten - auch 500 Jahre nach seiner Einführung. Um das älteste heute noch gültige Lebensmittelgesetz der Welt bemüht sich etwa der Deutsche Brauer-Bund durch den Bezug zur Bayerischen Landesordnung von 1516. Diese erlaubte als Brauzutaten lediglich Gerste(-nmalz), Hopfen und Wasser.

 

Über die Gründe für diese Verordnung herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit. Zwei Aspekte haben sich aber zunehmend verdichtet: Zum einen sollte es die Lebensmittelversorgung sichern, der Weizen wurde so für das Brotbacken reserviert. Zum anderen sollten zum Teil giftige Substanzen vom Bier ferngehalten werden.

 

«Man kann davon ausgehen, dass deutsches Bier reiner und qualitativ besser ist», sagt Johannes Tippmann vom Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie an der Technischen Universität München. Tippmann ist Bayer, spricht mit Dialekt, auf der Homepage der Hochschule präsentiert er sich im Janker. Mit Blick auf Enzyme, die im Ausland eingesetzt würden, sagt er: «Diese sind zwar verträglich, aber eben auch ein Zusatzstoff und das Bier damit nicht mehr so natürlich.»

 

Doch auch in Deutschland kommen mehr Stoffe mit Bier in Verbindung. Gesetzliche Grundlage ist das Vorläufige Biergesetz von 1993. Und das erlaubt zahlreiche Ausnahmen mit der Bedingung, dass diese keine chemische Reaktion im Bier hervorrufen und «bis auf gesundheitlich und geschmacklich (...) unvermeidbare Anteile wieder ausgeschieden werden». So sind Holzspäne oder das vieldiskutierte Kunststoffgranulat PVPP zur Filtration erlaubt.

 

Und sogar in einem Sitzungsprotokoll des bayerischen Landtags, in dem 1918 das Reinheitsgebot zum ersten Mal so genannt wird, wird der Begriff explizit als Wendung zu Werbezwecken beschrieben. Also alles nur ein Marketinggag?

 

«In meinen Augen geht es hier um die Beanspruchung eines Reinheitsbegriffs mit gezinkten Karten», sagt Phillip Roberts, während er sein Bier nach der Gärung in eine Zentrifuge gibt. Weitere Hilfsmittel braucht er nicht, lediglich ein bisschen Strom, um Hefe und Eiweiße von dem Getränk zu trennen.

 

Die Zusätze, die Roberts zu Beginn des Brauprozesses einsetzt, verändern den Geschmack des Bieres. Daher darf er diese Kreationen in Deutschland nicht brauen. Eine mögliche Sondergenehmigung hat er gar nicht erst beantragt. «Ich möchte kein System unterstützen, das ich für absurd halte.»

 

Philipp Overberg dagegen hat sich eine Sondergenehmigung 480 Euro kosten lassen - doch die bringt ihm für sein neuestes Projekt auch nichts. Die Leidenschaft des Münsteraner Brauers sind alte Rezepte. Im Gespräch reiht er einen historischen Fakt an den nächsten: Bis zum 15. Jahrhundert - bevor Hopfen zum Würzen von Bier verwendet wurde - sei in Münster ausschließlich Grutbier mit Hilfe einer Kräutermischung gebraut worden. «Der Verkauf von Grut war ein wichtiger Faktor für die Einnahmen der Stadt», sagt Overberg.

 

Nun will er das Traditionsbier neu auflegen. Dafür benutzt er unter anderem Kümmel, Hafer und Wacholder und hätte deswegen wohl keine Sondergenehmigung dafür bekommen. Brauen wird er das Bier deshalb in Belgien - und es in die Heimat importieren lassen.