Amnesty: Verbleib vieler Gefangener nach Putschversuch unklar

Verhaftete türkische Soldaten werden am 20. Juli mit dem Bus zu einer Gerichtsverhandlung in Istanbul gefahren. Mehr als zwei Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch ist unklar, wohin viele Gefangene gebracht wurden oder was mit ihnen passiert ist. Fo
Verhaftete türkische Soldaten werden am 20. Juli mit dem Bus zu einer Gerichtsverhandlung in Istanbul gefahren. Mehr als zwei Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch ist unklar, wohin viele Gefangene gebracht wurden oder was mit ihnen passiert ist. Fo

Mehr als zwei Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei ist nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International der Verbleib vieler Gefangener noch immer unklar. Vor allem der Verbleib der mutmaßlichen Rädelsführer sei nicht bekannt, sagte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Die Bundeswehr verstärkte derweil die Sicherheitsvorkehrungen für die auf dem Stützpunkt Incirlik im Süden des Landes stationierten deutschen Soldaten. Nach dem Putschversuch von Teilen des Militärs am 15. und 16. Juli hat Präsident Recep Tayyip Erdogan einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt.

In dem Land läuft eine «Säuberungswelle» im Militär und bei der Polizei, in den Medien, der Justiz und im Bildungsbereich. Nach offiziellen Angaben von Ende vergangener Woche wurden bislang fast 19 000 Menschen festgenommen, gegen mehr als 10 100 von ihnen ergingen Haftbefehle. Ministerpräsident Binali Yildirim sagte zudem am Dienstag, es seien mehr als 58 600 Staatsbedienstete suspendiert und fast 3500 dauerhaft entlassen worden. Die EU und die Bundesregierung haben sich besorgt gezeigt über die hohe Zahl an Festnahmen und Suspendierungen.

 

Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger für den Putschversuch verantwortlich. Kritik am harten Vorgehen gegen mutmaßliche Verschwörer wies er zurück.

 

Amnesty-Experte Gardner sagte der dpa, viele Festgenommene seien aus Kapazitätsgründen überall im Land in Sporthallen oder Reitställen unter teils menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Er forderte: «Die Festgenommenen müssen mit ihren Familien kommunizieren können und Zugang zu ihren Anwälten haben.» Es gebe jedoch keine zugängliche Liste, aus der hervorgehe, wo wer untergebracht werde.

 

Natürlich habe die Regierung nach dem Putschversuch das Recht, den Ausnahmezustand zu verhängen, sagte Gardner. Es habe jedoch bereits zuvor Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen gegeben. Dass die Regierung nun mehr Macht erhalte, sei daher besorgniserregend.

 

Amnesty hatte zuletzt auf mögliche Folter in Polizeigewahrsam hingewiesen. Ankara streitet die Vorwürfe ab. Erdogan hatte am Dienstag gesagt, es könne sein, dass Soldaten «während der Tumulte Tritte und Schläge abbekommen haben». Für Folter gebe es jedoch null Toleranz. Gardner hält solch ein Dementi für «nicht glaubhaft».

 

Deutschland und die Europäische Union sind in der Flüchtlingskrise auf eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung in Ankara angewiesen. So hat die EU mit dem sogenannten Flüchtlingspakt einen komplizierten Tauschhandel mit der Türkei vereinbart. Mit Blick auf die zahlreichen Verhaftungen und Entlassungen in dem Land sprach sich die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) (Mittwoch) für eine «Neubewertung» des Abkommens aus. Der griechische Migrationsminister Yiannis Mouzalas drang in der «Bild»-Zeitung auf einen «Plan B». Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte zuvor erklärt, Ankara müsse Abstand vom Flüchtlingspakt nehmen, wenn es nicht zu der vereinbarten Visa-Liberalisierung komme.

 

Der Putschversuch in dem Nato-Land war von Teilen des Militärs ausgeführt worden. Die anschließenden Maßnahmen der Regierung zielten insbesondere auf die Streitkräfte - mit Folgen auch für die Bundeswehr. Zurzeit seien für die Zusammenarbeit in Incirlik wichtige türkische Stellen teilweise nicht besetzt und es fehlten Ansprechpartner, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Die Basis werde daher «kurzfristig und präventiv» nur noch mit Flugzeugen angeflogen, die mit Systemen zur Verteidigung gegen Raketenangriffe ausgerüstet seien. Die Bundeswehr habe sich entsprechenden Maßnahmen der USA und anderer Partner angeschlossen. Eine akute Gefährdung für die deutschen Soldaten bestehe nicht. In Incirlik sind rund 240 Bundeswehr-Soldaten stationiert, die sich mit «Tornado»-Aufklärungsflugzeugen am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligen. (DPA)