Musik-Legende: Literaturnobelpreis geht an Bob Dylan

Bob Dylan 1981 in München. Foto: Frank Leonhardt
Bob Dylan 1981 in München. Foto: Frank Leonhardt

Fans feiern, Kritiker knirschen: Sollte ein Songschreiber - selbst ein so berühmter wie Bob Dylan - für seine Texte einen Literaturnobelpreis erhalten können? Die Stockholmer Jury sagt Ja und ehrt eine musikalische Jahrhundertgestalt.

Vielleicht lässt sich seine Bedeutung am besten aus diesem einen Moment herauslesen, dort auf den Marmorstufen des Lincoln Memorial in Washington im August 1963. Der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King ist kurz davor, Hunderttausenden von seinem Traum einer gerechteren Welt zu erzählen.

Protestlieder und eine über fünf Jahrzehnte dauernde Karriere

Doch erst tritt dieser junge Songschreiber namens Bob Dylan ans Mikrofon, Gitarre um die Schulter, Mundharmonika-Gestell um den Hals. Für seine Protestlieder - und eine über fünf Jahrzehnte dauernde Karriere - ist Dylan nun mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden.

Wohl fühlte sich Dylan als Symbolfigur dieser politischen Proteste eigenen Aussagen zufolge nicht. Konnte ein weißer Mann überhaupt für die Rechte der Afroamerikaner demonstrieren, geschweige denn ihr Leid nachempfinden? Doch seine eindringliche Folk-Lyrik, die er nur Schritte vom berühmten Baptistenprediger King entfernt anstimmte, und seine musikalischen Wiedergeburten über die nächsten rund 50 Jahre machten ihn zur Jahrhundertgestalt.

 

Mit Dylan bekommt erstmals ein Liedtexter die höchste Literatur-Auszeichnung zuerkannt

Die Stockholmer Jury hielt es jedenfalls für angemessen, mit Dylan erstmals einem Liedtexter die höchste Literatur-Auszeichnung zuzuerkennen. Die späte Ehre für den 75 Jahre alten Revolutionär ist die Krönung einer sehr langen Liste an Preisen. «Es gibt keinen größeren Giganten in der Geschichte amerikanischer Musik», sagte US-Präsident Barack Obama, als er Dylan 2012 mit der Freiheitsmedaille die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten verlieh.

Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Rufe nach einem Nobelpreis für den Musiker aus Duluth, Minnesota, gegeben. Ernsthaft daran geglaubt hatten daran wohl die wenigsten. Weder Literaturkritiker noch Buchmacher hatten Dylan in diesem Jahr auf dem Zettel: Die Zocker lagen mit ihren Tipps gründlich daneben. Von dem Kenianer Ngugi Wa Thiong'o bis zum ewigen Favoriten Philip Roth - alle vermeintlich heißen Anwärter gingen leer aus. Die schwedische Jury hat wieder einmal kräftig überrascht.

 

Kritiker und Verleger knirschen mit den Zähnen

Während der Preis für den Rockmusiker in sozialen Medien gefeiert wird, knirschen Kritiker und Verleger mit den Zähnen. «Mir war das eine Überraschung zuviel», sagt der schwedische Verleger Svante Weyler. «Die wollen sich ein bisschen lustig machen.» Wie viele seiner Kollegen fragt sich der Schwede: Ist das noch Literatur? «Ich finde es ein bisschen merkwürdig, die Definition so weit auszudehnen.»

Und doch: Dylans Einfluss auf die Welt des Folk, Pop und Rock ist kaum zu bemessen, Tiefgang und Tragweite seiner Texte enorm. Der Rocksänger mache nichts anderes als der Dichter Homer «vor 2500 Jahren oder so», meint die Nobelpreis-Jury. Dieser habe «poetische Texte geschrieben, die zum Zuhören da waren, zum Damit-Auftreten. Genauso ist es bei Dylan auch.» Dylan sei «brillanter Erbe der bardischen Tradition», meint auch der preisgekrönte indisch-britische Autor Salman Rushdie und lobt die «großartige Wahl» der Jury via Twitter.

 

Sicher ist: Gewonnen hat jemand, den die Welt gut kennt

Für Diskussionen sorgt auch, dass erstmals seit der Schriftstellerin Toni Morrison im Jahr 1993 wieder ein US-Amerikaner den Preis erhält, angesehene Autoren wie Philip Roth und Thomas Pynchon aber umgangen wurden. Ob die Juroren wirklich um den Preis gestritten haben, erfährt die Welt aber frühestens in 50 Jahren - bis dahin sind die Unterlagen der Jury geheim. Sicher ist: Gewonnen hat jemand, den die Welt - und nicht nur der hohe Literaturbetrieb - gut kennt.

Dylan, der am Donnerstagabend (Ortszeit) in der Vergnügungsmetropole Las Vegas auftreten sollte, dürfte all den Rummel eher locker nehmen. Schon beim Auftritt im Weißen Haus vor Barack Obama hatte er sich lässig gegeben, den Foto-Termin mit dem Präsidenten ließ er sausen. Auch nach der überraschenden - und teils umstrittenen - Verkündung aus Stockholm wird Dylan weiter durch den amerikanischen Westen und Süden touren, geplant sind unter anderem Stopps in Kalifornien, Arizona, Texas, Alabama und Florida.

Ob er nun auch ein wahrer Dichter und Poet ist, oder einfach der wohl einflussreichste Songschreiber und Musiker seiner Zeit, müssen vermutlich andere entscheiden. «Ich kann nur ich selbst sein», sagte Dylan schon 1965 in einem Interview, «wer auch immer das ist.» dpa