Tendenz zur Abschottung: Nicht nur in den USA werden internationale Abkommen zunehmend in Frage gestellt

Im Interview: Matthias Hartwig, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Foto: © Matthias Hartwig)
Im Interview: Matthias Hartwig, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Foto: © Matthias Hartwig)

Seit Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, spekuliert die Welt darüber, inwieweit sich die USA künftig noch an internationale Vereinbarungen gebunden fühlen. Im Wahlkampf hatte Trump beispielsweise die NATO als „obsolet“ bezeichnet, er hatte angekündigt, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zu kündigen, ebenso das Pariser Klimaschutzabkommen, das erst seit 4. November 2016 in Kraft ist.

 

Matthias Hartwig, wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, erklärt im Interview, welche Wirkung völkerrechtliche Verträge entfalten können und wo ihre Grenzen liegen.

Herr Hartwig, nehmen wir das Klimaschutzabkommen als Beispiel. Lässt sich die Abkommen von Paris einfach kündigen?

 

 

Zunächst einmal ist das Abkommen ein Vertrag wie jeder andere und kann – wie ein Mietvertrag oder ein Arbeitsvertrag – gekündigt werden. Das ist absolut im Einklang mit dem Völkerrecht. Im Pariser Abkommen ist festgeschrieben, dass es die ersten drei Jahre nach Inkrafttreten nicht gekündigt werden kann. Danach beträgt die Kündigungsfrist ein Jahr. Das heißt, die USA könnten frühestens in vier Jahren aussteigen. Allerdings gibt es möglicherweise ein Schlupfloch: Das Abkommen wurde im Rahmen der UN-Konvention über Klimaänderungen geschlossen, und diese Konvention ist innerhalb eines Jahres kündbar. Daher wird schon spekuliert, ob die Amerikaner eventuell direkt aus der Klimarahmenkonvention aussteigen mit der Folge, dass auch das Pariser Abkommen hinfällig wird.

 

Ob mit oder ohne Kündigung – fraglich ist doch, ob die USA ihre Ziele einhalten. Schon in Deutschland, das gerne als Vorreiter im Klimaschutz auftritt, hat es sich als schwierig erwiesen, einen politischen Konsens für konkrete Maßnahmen zu finden. Wie lässt sich die Umsetzung solcher völkerrechtlicher Vereinbarungen sicherstellen?

 

 

Es ist tatsächlich eine Schwäche des Völkerrechts, dass Verletzungen nicht wirksam sanktioniert werden: Die Gerichtsbarkeit ist unterentwickelt. Dafür gibt es andere Mechanismen, um die Einhaltung zu fördern, zum Beispiel „blaming and shaming“. Man setzt darauf, dass in der breiten Öffentlichkeit negativ wahrgenommen wird, wenn sich ein Staat nicht an Vereinbarungen hält, und dass er daher lieber eine Blamage vermeidet. Dazu kommt: In den meisten Fällen schließen Staaten Verträge, weil beide Seiten davon einen Vorteil haben. Wenn sich Staat A nicht daran hält, kann Staat B damit drohen, ebenfalls gegen die Vereinbarung zu verstoßen. Das funktioniert zwar nicht beim Klimaschutz, aber etwa bei Handelsabkommen. Und dann gibt es Bereiche, in denen es tatsächlich eine juristische Instanz gibt, zum Beispiel den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der über die Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht.

 

Wie gut funktioniert er?

 

Der Gerichtshof ist durchaus erfolgreich. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 2400 Urteile gefällt. In aller Regel bemühen sich die Staaten das Urteil umzusetzen. Und wenn nicht, begründen sie das sehr ausführlich. Allerdings gibt es in Großbritannien Diskussionen, ob sich das Land von der Europäischen Menschenrechtskonvention zurückziehen soll. Das würde das Abkommen, das ja Ausdruck eines gesamteuropäischen Wertekanons ist, deutlich schwächen. Und möglicherweise würde ein solcher Austritt dann zum Präzedenzfall für andere Staaten.

 

Auch der Internationale Strafgerichtshof hat in letzter Zeit an Zustimmung verloren: Im Oktober haben drei afrikanische Staaten ihren Rückzug aus dem Internationalen Strafgerichtshof erklärt, und nun will auch Russland die Zusammenarbeit aufkündigen. Sind die Staaten nicht mehr bereit, sich internationalem Recht zu beugen?

 

Der Internationale Gerichtshof ist eine Sache für sich. Was dort in den letzten 20 Jahren geleistet wurde, wird von vielen kritisch gesehen. Zum Rückzug Russlands muss man wissen, dass die Russen das sogenannte Rom-Statut, mit dem der Internationale Strafgerichtshof 1998 ins Leben gerufen wurde, zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert hatten. Jetzt haben sie die Unterzeichnung zurückgezogen – übrigens ebenso wie die USA, die bereits im Jahr 2000 ihre Unterschrift zurücknahmen. Insofern ist Russland jetzt mit den Vereinigten Staaten gleichgezogen. Der Ausstieg jetzt fällt allerdings mit der Feststellung der Generalanwältin des Internationalen Strafgerichtshofs zusammen, dass es sich bei den Auseinandersetzungen in der Ukraine um einen internationalen Konflikt handelt, an dem Russland in militärischer Form beteiligt ist. Vertreter Russlands könnten möglicherweise wegen Verletzungen des Kriegsvölkerrechts zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Erleben wir insgesamt eine Abwendung vom Völkerrecht?

 

So würde ich das nicht sagen. Es gibt viele Beispiele für internationale Abkommen, die gut funktionieren und sehr genau eingehalten werden, vor allem im Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts. Aber es ist schon auffällig, dass sich weltweit eine Tendenz breitmacht, dass Staaten sich auf sich selbst zurückziehen.

 

Internationale Verträge werden gar nicht erst geschlossen, nicht mehr verlängert oder sogar gekündigt, wie wir es beim Brexit erleben. Das halte ich für eine beunruhigende Entwicklung.

 

Interview: Mechthild Zimmermann

 

(Max-Planck-Gesellschaft München)