Härteklausel - Gesundheitliche Beschwerden dürfen nicht bagatellisiert werden

Wohnungsmieter können auch einer z.B. wegen Eigenbedarfs berechtigten Kündigung des Mietverhältnisses widersprechen und vom Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (§ 574 BGB).

Dabei stellen nach der Rechtsprechung des BGH aber weder ein hohes Alter noch eine lange Mietdauer ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenen Folgen eines Wohnungswechsels eine Härte da. Erst wenn zu diesen Umständen Erkrankungen hinzukommen, aufgrund derer beim Mieter im Falle seines Herauslösens aus seiner näheren Umgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes zu erwarten wäre, kann dies in der Gesamtschau zu einer Härte führen (BGH, Urteil v. 22.05.2019, VIII ZR 180/18). Werden vom Mieter im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, müssen sich die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insb. welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Vom Mieter kann als medizinischen Laien über die Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests nicht verlangt werden, noch weitere (meist nur durch einen Gutachter zu liefernde) Angaben zu den gesundheitlichen Folgen insb. zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit zu befürchtender gesundheitlicher Nachteile zu tätigen. Trägt der Mieter zu seinen diesbezüglich geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen substantiiert sowie unter Vorlage aussagekräftiger fachärztlicher Atteste vor, verstößt die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Mieters sowie zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen seiner (behaupteten) Erkrankungen auf die Lebensführung im Allgemeinen und im Fall des Verlustes der vertrauten Umgebung regelmäßig gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Wenn der Instanzrichter abweichend von einem fachärztlich bescheinigten Bild die vom Mieter, auch unter Beifügung eines Nachweises über einen bestehenden Behinderungsgrad vorgetragenen Erkrankungen, die einem Wohnungswechsel im Weg stehen sollen, als lediglich „altersbedingte Beschwerden“ bagatellisiert sowie die gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsel selbst beurteilt, statt sich sachverständig beraten zu lassen, maßt er sich eine Sachkunde an, über die er -offensichtlich- nicht verfügt (BGH, Beschluss v. 26.05.2020, VIII ZR 64/19, NZM 2020, S. 607).

 

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